„Hanna
wollte ein Rätsel lösen, am liebsten ein wertvolles Gemälde herbeizaubern und
ihrem Vater eine gute Zeit bescheren, Hermann wollte sich vom Sterben ablenken,
und sie, Lilie, wollte mittlerweile vor allem mehr über ihre Urahnen erfahren.“ (S. 221)
„Sei mir ein Vater“ spielt auf 2 Zeitebenen. Da sind zum einen Lilie aus Paris, ihre Freundin Hanna und deren Vater Hermann in Deutschland im Heute. Auf der anderen Seite ist Georgette Agutte, eine Ururahnin von Lilie, deren Vater schon vor ihrer Geburt verstarb und ihr ein Bild hinterlassen hat (er war Maler). Ausgerechnet dieses Bild, welches seit Jahren in Lilis Abstellkammer verstaubt, versuchen Einbrecher zu rauben und schlagen Lilie dabei nieder.
Als Hanna Lilie anruft, weil Hermann Krebs im Endstadium
hat, reist sie sofort nach Deutschland. Zu ihrem eigenen Vater hat Lilie kein
richtiges Verhältnis, er war nie da, und Hermann ist seit einem
Schüleraustausch der „Vater ihres Herzens“.
Natürlich
erzählt Lilie von dem Raubversuch. Sie hat das Bild sogar dabei und in der
Hoffnung, es könnte etwas wert sein, bringen sie es zu einem Restaurator.
Während dieser versucht, mit seinen Methoden mehr über das Bild und dessen
Maler zu erfahren, schlägt Hermann vor, mehr über Lilies Vorfahrin Georgette
und damit vielleicht auch das Bild herauszufinden. Hanna und Lilie sorgen sich
zwar sehr um seine Gesundheit, aber er setzt sich durch: „Es ist mein
letzter Krimi, und dabei führe ich Regie und spiele die Hauptrolle. Es ist mein
Leben, und ich entscheide, wie es zu Ende geht.“ (S. 123)
Es beginnt also eine spannende Schnitzeljagd quer durch
Frankreich, immer auf Georgettes Spuren und denen ihres Lebens. Immer mit der
Angst im Nacken, ob Hermann das Ende der Suche noch erlebt und ob sie wirklich
etwas finden. Es kursiert nämlich das
Gerücht, dass Georgette einen unbekannten Matisse besaß, der seit ihrem Tod
verschwunden ist ... Denn die heute fast vergessene Malerin war zu ihrer Zeit gar
nicht so unbekannt. Sie gehörte zur einflussreichen Oberschicht und war mit
vielen bereits berühmten Malern befreundet und solchen, die es erst später
werden sollten. Sie und ihr Mann waren passionierte Kunstsammler, da ist die
Vermutung, sie könnten Raritäten besessen und versteckt haben, gar nicht so
abwegig ...
Ich fand den Einstig in das Buch sehr gut. In Paris war ich
in dem Moment angekommen, als Lilie den Code für die Haustür eingegeben hat J. Das kenne ich noch von
meinen Paris-Besuchen.
Auch Georgettes Leben wird sehr anschaulich beschrieben, die
Stimmungen, Farben und Gerüche haben es sehr lebendig gemacht. Gewürzt wurde
ihre Geschichte durch die Anekdoten und Begebenheiten mit Künstlern und Persönlichkeiten
aus ihrem Umfeld.
Hanna und Lilie sind wie Pech und Schwefel. Sie halten
besser zusammen, als manches Schwesternpaar. Aber es gibt natürlich auch
Eifersüchteleien, weil Lilie nach über 20 Jahren immer noch ein Teil von
Hermanns Leben ist. "Aber nur weil
dein Vater mich auch ein bisschen gern hat, heißt es nicht, dass er dich
weniger liebt. Die Liebe ist ja nicht wie ein Kuchen, bei dem es nur eine
bestimmte Anzahl von Stücken gibt. Ich nehme dir nichts weg. " (S. 80)
Im Gegensatz zu Hermann kommt Lilies Vater nicht gut weg. Er
war nie für die Familie da, hat ihre Mutter nicht geheiratet, taucht aber immer
dann auf, wenn er wieder mal pleite ist. Ich würde ihn als „Lebemann“
bezeichnen. Und auch Lilies Mutter ist nicht gerade einem Bilderbuch
entstiegen. Sie sorgt sich nach dem Überfall mehr um Lilies Hund als um ihre
Tochter, aber um ihren Enkel kümmert sie sich rührend. Irgendwie verändert sich
mein Verständnis von ihr im Laufe der Handlung ständig. Wahrscheinlich rührt
aus diesem „Kudelmuddel“ mit ihren Eltern ihre tiefe Beziehung zu Hannas
Familie, bei ihr hat sie sich das erste Mal aufgehoben und geborgen gefühlt,
etwas, was ihr ihre eigenen Eltern nie bieten konnten.
Georgette Agutte ging es ähnlich. Ihr Vater ist noch vor
ihrer Geburt bei einem Unfall verstorben. Ihr ist nur ein von ihm gemaltes Bild
geblieben. Er fehlt ihr so sehr, dass sie ihm ihr Leben lang immer wieder
Briefe schreibt und diese im Bilderrahmen befestigt. Als Frau und Künstlerin
war sie sehr umstrittenen. Entweder war sie ihrer Zeit weit voraus und
selbstbewusster, als es ihr damals eigentlich zustand, oder aber wirklich „nur“
das Anhängsel ihres Mannes, wie Zeitgenossinnen hämisch geschrieben haben. Auch
die Kritiken über ihre Werke gingen damals weit auseinander. Sie selber war
wohl nie so richtig mit ihren Arbeiten zufrieden.
Beide Frauen suchen ihren Platz im Leben. Georgettes
Zerrissenheit als Frau und Künstlerin gegen Lilies Haltlosigkeit im Leben: sie
hat ein Kind aber keinen Vater dazu, keinen Job, keine Perspektive, keine
Visionen. Beide suchen Anerkennung und Bestätigung immer nur bei andern, weil
die vom Vater fehlt.
Besonders erschreckend fand ich die Parallelen, wie Georgette
und ihr Mann im 1. WK quer durch Europa reisen, immer dahin, wo es gerade
sicher ist. Ich möchte nicht in so einer Zeit leben, aber wenn ich mir die
Situation jetzt gerade anschaue, ist es doch sehr aktuell.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, es ist ein wunderbarer
Roadtrip durch Frankreich und seine und Georgettes Geschichte. Außerdem konnte
man wie in einem Krimi mit raten, was nun als nächstes passiert und ob der
aktuelle Hinweis brauchbar ist.
Es gibt nur ein kleines Manko: Lilies Sohn und ihr Hund
gehen irgendwie unter. Sie werden zu Beginn und zwischendrin zwar ab- und an
kurz erwähnt, verschwinden dann aber wieder – so, als wären sie in ihrem Leben
gar nicht vorhanden. Und wenn sie dann wieder erwähnt werden, denkt man „Huch,
stimmt ja, die gibt’s ja eigentlich auch noch.“
Deshalb vergebe ich hier sehr gern 4 Sterne und empfehle es
allen Liebhabern von Frankreich, Kunst und spannenden Familiengeschichten.
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