Donnerstag, 3. Dezember 2015

Stumme Wasser






  • Erscheinungsdatum Erstausgabe : 15.10.2015
  • Aktuelle Ausgabe : 15.10.2015
  • Verlag : Emons Verlag
  • ISBN: 9783954517107
  • Flexibler Einband 176 Seiten






„Jeder glaubt, von dem anderen alles zu wissen. Doch eigentlich bleibt man sich ein Leben lang fremd.“
Der Kunsthistoriker Richard Gruben wurde von seinem alten Mentor Friedrich Semmering kurz vor Weihnachten nach Fahrenende eigeladen, weil der seine Hilfe bei der Beurteilung eines Bildes braucht. Richard kommt diese Einladung ganz Recht, hat er doch gerade Beziehungsstress mit seiner Freundin. Doch als er in Fahrenende ankommt, findet er Friedrich tot vor, erschlagen, das Haus wurde verwüstet. Und von einem geheimnisvollen Bild ist weit und breit keine Spur zu finden. Auch Johanna, Friedrichs Enkelin, weiß nichts von einem Gemälde. Bald verdichten sich allerdings die Hinweise, dass Friedrich in einen großen Fälschungsskandal verwickelt sein könnte. Richard wird das Gefühl nicht los, dass das halbe Dorf darin involviert ist. Auf jeden Fall wissen alle viel mehr, als sie zugeben.
Mir hat schon der Einstieg in das Buch einen Schauer über den Rücken gejagt. Ein junger Mann wartet am Strand im Nebel auf seine Geliebte, mit der er über die Ostsee aus der DDR fliehen will. Es war so authentisch: die Angst, das monatelange Planen, die Hoffnung – ich habe gleich mitgefiebert und mitgebangt. Ich komme auch aus der ehemaligen DDR und mein Mann auch. Er wollte ebenfalls aus der DDR fliehen. Das ist ein sehr emotionales Thema für mich.
Richard will natürlich wissen, warum Friedrich sterben musste und hört sich im Dorf um. Aber die Bewohner weichen ihm aus, lügen oder machen nur Andeutungen. Viele haben Geldsorgen, da ein geplantes Hafenprojekt nicht umgesetzt wird, einige stehen kurz vor dem Bankrott. Und irgendwie sind alle miteinander verwandt und stecken unter einer Decke. Das ist alles sehr mysteriös.
Als Täter kommen z.B. der Werftbesitzer Ruhnke in Frage, der mit Friedrich im Clinch lag und auch die undurchschaubare Töpferin Grams verheimlicht etwas. Oder war es Michael, Johannas Bruder? Auch bei ihm ist es mehr Schein als Sein. Und was weiß Waltraud, Johannas Tante? Gleichzeitig drehen sich die Gespräche immer wieder um verschollene Ostseeflüchtlinge. Die Handlung ist so herrlich verworren und irrenführend, dass man kaum eine Chance hatte, den Mörder selbst zu ermitteln – ich liebe das!
Aber es gibt auch einen Lichtblick für Richard: den sympathischen, unauffälligen aber beharrlichen Dorfpolizist Bert, der den Mord ebenfalls aufklären will und natürlich Friedrichs Enkelin Johanna, die eine seltsame Anziehungskraft auf ihn ausübt.
Auch die Beschreibungen der Gegebenheiten sind der Autorin sehr anschaulich gelungen: „Malerisch trafen die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf die windstille Ostsee. Ein bizarres Farbenspiel in zartem Rosa und hellem Blau ergoss sich über die glitzernde Wasseroberfläche.“ Oder: "Wie ein riesiges Zelt spannte sich das Dach mit der freigelegten Holzkonstruktion über das große, luftige Atelier. Der komplett verglaste Nordgiebel bot dem Maler das gleichmäßige, kalte Licht, das er zum Arbeiten benötigte."  Mir gefiel diese Stelle deshalb so gut, weil ich bei der Beschreibung sofort das Gefühl hatte mitten im Raum zu stehen und die besondere Aura zu fühlen. Ich vermute mal, dass letzteres auch daran liegt, dass die Autorin Bauingenieurin und damit vom Fach ist.
„Stumme Wasser“ ist ein extrem fesselndes Buch. Mir gefiel die dicht gewebte Atmosphäre aus Angst und Schuld! Man kann die Spannung förmlich mit den Händen greifen. Die Beschreibung des Winter grau - trostlos – kalt: genau wie die Dorfbewohner.
„Nichts erinnerte mehr an den Sturm, der vor kurzer Zeit über Fahrenende hinweggefegt war.“ – Am Ende fegt der Sturm nicht nur durchs Dorf, sondern auch durch Richard(s Leben) und er macht das einzig Richtige: ich verrate Euch aber natürlich nicht was – wo bliebe sonst der Spaß?!
Ich vergebe für dieses wirklich fulminante Krimi-Debüt 5 Sterne und hoffe ganz stark auf weitere Bücher.

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