Provokante Liebesgeschichte von Tucholsky
Autor: Kurt Tucholsky
Bearbeitung: Matthias Thalheim
Regie: Barbara Plensat
Komposition: Thomas Natschinski
Darsteller: Gunter Schoß, Ulrike Krumbiegel, Georg Helge, Dagmar Manzel, Kurt Böwe u.a.
Produktion: Rundfunk der DDR 1985
Verlag: Der Audio Verlag (2001)
ISBN: 978-3898131582
Spielzeit: 49 Minuten
Bearbeitung: Matthias Thalheim
Regie: Barbara Plensat
Komposition: Thomas Natschinski
Darsteller: Gunter Schoß, Ulrike Krumbiegel, Georg Helge, Dagmar Manzel, Kurt Böwe u.a.
Produktion: Rundfunk der DDR 1985
Verlag: Der Audio Verlag (2001)
ISBN: 978-3898131582
Spielzeit: 49 Minuten
Der berühmte Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky, der vor allem für seine Essays, Satiren und seinen Pazifismus bekannt war, veröffentlichte 1912 mit „Rheinsberg - Ein Bilderbuch für Verliebte“ ein für die damalige Zeit äußerst provokantes Werk. Diese Rezension bezieht sich auf die Hörspielproduktion des Rundfunk der DDR von 1985.
Die recht kurze Erzählung
handelt von einem dreitägigen Urlaub eines verliebten und unverheirateten
Paares – ein zur wilhelminischen Zeit undenkbar unmoralisches
Unterfangen. Die Fahrt ins ländliche Rheinsberg ist offensichtlich ein
regelrechter Ausbruch aus dem bürgerlichen Alltagsleben der beiden, denn die
Protagonisten, Claire und Wolfgang, reisen mit dem Zug aus Berlin hinaus aufs
Land, um der großstädtischen Monotonie und Spießbürgerlichkeit zu entfliehen. Da
die Reise eines unverheirateten Paares Anfang des 20. Jahrhunderts absolut
unziemlich ist, geben sie sich als Ehepaar aus.
Die
Erzählperspektive ist überwiegend die des personalen Erzählers aus dem
Blickwinkel Wolfgangs, wobei die Dialoge das Stück dominieren. Diese Dialog
sind vor allem durch Claires außergewöhnliche Art der Sprache geprägt und von
Ironie und Sarkasmus durchzogen. Das Paar neckt, zankt und amüsiert sich
ständig. Kaum ein Dialog ist nicht von Spitzen, Andeutungen und Ironie
durchtränkt.
Bereits
auf der Zugfahrt darf der Hörer diese ungewöhnliche Sprache und diese teils
banalen Themen bestaunen:
„… nein … Sonne weeiit … Land … Seh mal: ’ne Akazie!
’ne blühende Akazie, lauter blühende Akazien“
In Rheinsberg wandeln sie auf typischen touristischen Spuren.
Sie besichtigen beispielsweise das Schloss zu Rheinsberg und lassen sich vom
Kastellan, Herrn Adler, durch die Räumlichkeiten begleiten. Es ist vor allem
Claire, die diese Besichtigung durch ständige ironische Einwürfe ad absurdum
führt.
Zwischendurch bestaunen sie immer wieder die Natur, als hätten
sie als Großstadtmenschen keinen blassen Schimmer davon. Am ersten gemeinsamen
Abend entdecken sie auf ihrem Nachtspaziergang hinter einem Fenster ein
Theaterstück und verfolgen einen Ausschnitt daraus. Dies wird natürlich auch
kommentiert. Am zweiten Tag unternehmen sie nach einem späten Frühstück einen
Spaziergang durch die Stadt. Claire kauft in einem Laden einen Knopf und danach
gehen sie in einen „Kinematographen“, um sich einen Film anzuschauen. Hier
stellt Claire ständig naive Fragen zum Film. Am letzten Tag hat Wolfgang ein
Paket, dessen Inhalt Claire gerne kennen würde. Doch Wolfgang stellt sie auf
die Folter. Sie unternehmen noch eine Bootstour. Hierbei nehmen eine Berliner Medizinstudentin
namens Lissy Aachner an Bord, die ans andere Ufer möchte. Derweil tritt Claire
als eifersüchtige Geliebte auf, die sich aber als Schwester „Wölfchens“ und Ortsansässige
ausgibt. Zum Schluss kehren sie mit dem Zug in die Großstadt und ihre „grauen
Tage“ zurück und vergessen das Paket im Hotel.
Beachtlich ist, dass die Handlung keinen Spannungsaufbau benötigt.
Hierauf verzichtet
Kurt Tucholsky zu Gunsten der - oberflächlich betrachtet - banalen Dialoge und der
Beschreibung impressionistischer Szenerien, die wie Momentaufnahmen
aneinandergereiht werden. Doch genau diese Art des „Understatement“ trieft bei
genauer Betrachtung regelrecht vor tiefgründigem Sarkasmus und Ironie. Die
umgangssprachlichen Dialoge der beiden Protagonisten sind für die damals
übliche literarische Sprache auffallend unkonventionell. Auch die teils
übertriebenen Liebesbekundungen und maßlosen Übertreibungen fallen aus dem Rahmen:
„Ich habe ein außerordentlich feines Empfinden dafür,
ich vermute, du bist gewillt, dich über mich lustig zu machen. Wird diese
Vermutung zur Gewissheit, so schlage ich dich nieder.“
Die
Charaktere sind äußerst subtil angelegt. Claire ist eine für damalige Verhältnisse
extrem ungebundene und gegen die damaligen Konventionen revolutionierende Frau.
Sie bedient sich einer kindlich teils wirren Sprache, die sie gezielt einsetzt,
um ihre Intelligenz zu unterstreichen.
„Ach Gott, konnste auch besser mir
nicht zu bekorrigieren zu gebrauchs gehabs habs!“
Sie
entspricht in keiner Weise dem damaligen Frauenbild. Als Medizinstudentin stammt
sie aus gutem Hause, mit standesüblichen Wertvorstellungen und offensichtlich strengem
Vater. Trotz ihres revolutionären Gemüts dürfen ihre Eltern nichts von dem Wochenende
mit Wolfgang erfahren. Daher gibt sie vor, bei einer Freundin zu übernachten. Es
ist unüberhörbar, dass sie sich für überaus intelligent und attraktiv und
dadurch gegenüber den meisten anderen Menschen für überlegen hält. Auch wenn
sie eine unendliche Ungebundenheit vorgibt, ist ihre Liebe zu ihrem „Wölfchen“
deutlich zu spüren und so scheint mir auch die Eifersüchtelei in der Bootsszene
mit der Studentin Lissy nur vordergründig gespielt. Die Sprecherin der Lissy
versteht es perfekt den richtig Ton zu treffen und findet meine Bewunderung,
dass sie die ungewöhnliche Sprache so fließend interpretiert.
Über Wolfgang, den Claire meist „Wölfchen“ nennt, ist
weit weniger bekannt als über Claire. Er ist aber offensichtlich ein gebildeter
Mann, dessen Alter ich schwer einschätzen kann. Seine Bildung kann man an
seinen Wortspielereien, philosophischen Äußerungen und lateinischen Aussprüchen
ausmachen:
„Ne quis animadvertat!“
Gegenüber Claire wirkt er älter, überlegter und seriöser.
Er scheint zuweilen den tradierten, wilhelminischen Ehemann zu spielen - den starken
Beschützer und rechthaberischen Herrn im Hause. Er sagt an, was als nächstes
getan wird. Wenn Claire sich dagegen auflehnt, parodiert er das traditionelle
Rollenbild als entrüsteter Herr und droht ihr sogar spielerisch mit
körperlicher Züchtigung. Der Sprecher des Wolfgang hat eine angenehme, modulare
Stimme, wirkt aber unterschiedlich alt, was die Uneinschätzbarkeit des Alters
für mich unterstreicht.
Witzig ist das Zusammentreffen mit Herrn Adler, dem
Kastellan, der so gar nichts mit dem Paar anfangen kann und nicht aus seiner
Haut kann. Stolz präsentiert er „sein Schloss“ und vermittelt sein Wissen ohne
die Ironie des Paares zu verstehen. Er ist nur erstaunt, dass die Gäste nicht
mehr Bewunderung zeigen.
Ebenso wirkt die Verkäuferin im Knopfladen grotesk und
altbacken – regelrecht prüde, als sie den „Herrn“ hinausschickt, weil Claire
einen Knopf aussuchen möchte.
Die „Bootsanhalterin“ Lissy Aachner ist eine
intellektuelle und ambitionierte Medizinstudentin. Auch sie hat unkonventionelle
Ansichten, unterscheidet sich aber stark von Claire. Sie wirkt weniger frei und
eher verbissen. Auch sie durchschaut das Paar nicht. Hört nicht die feine
Ironie.
Leider ist die Vertonung zuweilen durch
Hintergrundgeräusche etwas schwer zu verstehen, so dass ich mich während der
Autofahrten sehr beim Hören anstrengen musste.
Fazit:
Ein
außergewöhnliches Werk, dass vor Seitenhieben gegenüber dem Spießbürgertum
strotzt und mit viel Wortwitz und ungewöhnlicher Sprachwahl aufwartet.
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