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Jedem Anfang geht ein Abschied voraus
„Mein Tagebuch. Dieser unerwartete Gruß aus einer Zeit, von der ich heute weiß, dass sie ein Countdown war, reißt mir ein Loch in meine ohnehin gerade bröckelige Fassade.“ (S. 22) Wäre der Altpapiercontainer nicht voll gewesen, hätte Cora ihr Tagebuch von vor 25 Jahren nie wiedergefunden, so aber fällt es aus dem Karton, den sie eigentlich entsorgen wollte. Sie hat es damals „Mondscheintarif“ genannt und die knapp 7 Stunden protokolliert, in denen sie in Selbstzweifeln badet, alles überdenkt und mit ihrer Freundin Johanna (zer-)redet, während sie auf den Anruf von Daniel wartet, in den sie sich gerade verliebt hat.
Jetzt, 25 Jahre später, ist sie immer noch mit sich unzufrieden und in einer ganz ähnlichen Situation. Das letzte ihrer 3 Kinder hat das Haus verlassen und ihre Ehe ist schon lange eingeschlafen. Plötzlich stellt sich ihr die Frage, ob das der perfekte Moment für einen Neuanfang ist.
Wanda, die ebenfalls Altpapier entsorgen wollte und Cora von einem Shooting von vor einem Jahr kennt, rettet sie aus ihrem Selbstmitleid und nimmt sie mit in die Villa Ohnsorg, wo sie deren Mitbewohner Erdal und seine Mutter Ruth, Gloria und Johann kennenlernt.
„Eine halbe Ewigkeit“ schlägt den Bogen vom „Mondscheintarif“ zu „Der Morgen kann kommen“ und erzählt beide Geschichten weiter.
„Ich heiße Cora Hübsch, bin fünfundvierzigdreiviertel Jahre alt und habe auch in fortschreitendem Alter weder eine passende Frisur noch inneren Frieden gefunden.“ (S. 108) Die Cora von heute ist noch genauso unsicher wie damals, hat Schwierigkeiten sich zu entscheiden, schwankt zwischen Verzweiflung, Stagnation und Neuanfang, zieht die Bequemlichkeit der Aufregung vor und ist keine Frau für halbe Sachen, wenn es um Schokoriegel oder Kuchen geht. Außerdem ist damals etwas passiert, was sie sich nie vergeben und ihr Leben für immer verändert hat. Jetzt bekommt sie unerwartet nicht nur eine Menge neuer Freunde und Leidens-genossen, sondern auch die Chance auf Veränderung.
„Jedem Anfang geht ein Abschied voraus, verdammt noch mal. Und der ist schwer und schmerzhaft und unfassbar endgültig, und manchmal auch einfach nicht zu ertragen.“ (S. 97) Die Bewohner der Villa Ohnsorg hat der Freitod ihres Mitbewohners Rudi vor einem Jahr noch mehr zusammengeschweißt. Sie haben zum Teil radikale Veränderungen durchgemacht, weil sie sich ihrer Endlichkeit bewusst geworden sind. Jetzt genießen sie ihr Leben, machen weniger Kompromisse und lassen sich nichts mehr gefallen.
Sehr gefühl- und humorvoll und einige Situationen gekonnt überspitzend erzählt Ildikó von Kürthy von der zweiten Hälfte des Lebens, von der Menopause, den Sorgen und Problemen des Elterndaseins und der Angst vor dem Leben nach den Kindern, wenn man wieder „nur“ zweit ist, von großen Lieben und Verlusten, von Schuldgefühlen und Vergebung und davon, sich endlich auf sich zu besinnen, (zu sich selbst) ehrlich zu sein, sich zu akzeptieren und selbst zu lieben.
Ich habe wieder gelacht und geweint und hätte Cora gern in den Arm genommen. Und ich habe mich gefreut, auch den anderen ProtagonistInnen wieder zu begegnen, die mir so ans Herz gewachsen sind: die Diva Erdal mit dem riesengroßen Herz aus Gold, seine abgeklärte und raubeinige Mutter Renate, die kompromisslose Wanda, die stille Ruth – ich habe oft an sie gedacht, mich gefragt, was wohl aus ihnen geworden ist und mich jetzt beim Lesen oft in ihnen wiedererkannt.
Auch „Eine halbe Ewigkeit“ ist wieder ein emotionales Lesehighlight, das noch lange in mir nachklingen wird.
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