Freitag, 17. Juni 2016

Interview mit Christoph Ernst



Spannung, Nervenkitzel und Gänsehautfeeling!

"Ernst packt aus", eine kriminelle Kurzgeschichte von den nichtohnebuch-Mädels ...

Tatort: Facebook
Tatzeit : 17.06.2016, 16 Uhr
Tatmotiv: Krimi-und Thrillerwoche
Ermittler: Blogmädels "nichtohnebuch"
Zeuge: Krimiautor Christoph Ernst


Der Zeuge Christoph Ernst zeigte sich gegenüber der ermittelnden Behörde äußerst kooperativ. Schnell und umfassend reagierte er auf alle Fragen. Seine Antworten waren interessant, aufschlussreich und zielführend.

Lest das Verhör und lasst Euch von Christoph Ernst beeindrucken!



Lieber Christoph, würdest Du Dich unseren Lesern bitte kurz vorstellen?

Christoph Ernst, Baujahr 1958. Geschichtsstudium in Hamburg und New York. Vorher unter anderem Deckhand, Barmann und Farmgehilfe. Später Sprachlehrer, Journalist und Kulturmanager.

Welches Buch war Dein Erstlingswerk?
Ein Sachbuch über Häftlingssklavenarbeit im KZ-Neuengamme. Ich bin damals im Zuge einer Recherche über bewegende Berichte von Überlebenden gestolpert, die ich zusammen mit meiner Freundin Ulrike Jensen herausgegeben habe. Da steckte viel Herzblut drin. Mein erster Kriminalroman hieß 'Bangkok ist selten kühl'. Der erschien 1998 und ist heute als E-Book im Hallenberger-Media-Verlag erhältlich. 

Wie viele Bücher hast Du bisher veröffentlicht?
Wenn ich angeben will, rechne ich wissenschaftliche Texte, Austellungskataloge und Anthologien mit, dann lande ich bei ungefähr fünfzehn. Ansonsten sind unter meinem Namen bisher sechs Kriminalromane und ein Kurzgeschichtenroman erschienen.
 
In welchen Genres schreibst Du überwiegend?
Krimis. Mich interessiert das Verhalten von Menschen unter Druck, in Extremsituationen. Verbrechen sind oft Ausdruck extremer Krisen. Mir geht es weniger ums Verbrechen als um die Art der Krise. Viele unserer Ängste sind durch das Außen bestimmt, durch Projektionen, denen wir ausgesetzt sind, falsche Ansprüche, die wir verinnerlicht und nie hinterfragt haben. Diese kaputten Identitäten setzen Dämonen frei, die extrem zerstörerisch sein können. Nicht nur in Leuten, die wir 'Verbrecher' nennen.

Gibt es ein Genre, in welchem Du gar nicht schreiben würdest?
Mit Fantasy kann ich nicht so wahnsinnig viel anfangen, obwohl es auch da einiges durchaus Lesenswertes gibt. Ansonsten gibt es für mich nur zwei Arten von Büchern, gute und schlechte. Das Genre spielt eine untergeordnete Rolle. Kriminalromane lassen am meisten Raum, sich mit Ursache und Wirkung zu beschäftigen und in verschiedenste soziale Biotope vorzudringen. Geprägt dabei haben mich die Autoren der hard-boiled-school in den USA, die dem sozialen Realismus der 1930er verpflichtet sind, Graham Greene und Eric Ambler oder das schwedische Schriftstellerpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö, denen es die skandinavischen Autoren verdanken, dass sie heute weltweit gelesen werden - wie mir der Stockholmer Kollege Johan Theorin gerade gestern wieder versicherte.
 
Wie bist Du zum Schreiben gekommen?
Lange Geschichte. Kurze Antwort: Weil ich es musste.

Woher nimmst Du die Ideen für das Buch/die Bücher?
In der Regel aus dem echten Leben. Und da ich wie ein Historiker denke, setze ich sie gern in einen geschichtlichen Zusammenhang. Denn das, was uns ausmacht, ist entscheidend dadurch geprägt. Schönheit wohnt eben nicht nur im Auge des Betrachters, was er oder sie sieht, hängt entscheidend davon ab, woher er kommt und mit welchen (falschen) Vorstellungen er oder sie durch die Welt läuft.

Wie lange brauchst Du für ein Buch?
Einmal habe ich es geschafft, ein Buch innerhalb eines Monats zu schreiben. Aber das war eine Tour de Force und was ich zu schreiben hatte, war vorgegeben. In der Regel bin ich viel langsamer und brauche zwei bis drei Jahre, bis das Buch fertig ist. Ich nehme mir Zeit. Schreiben ist für mich eine Entdeckungsreise - genauso wie später hoffentlich für den Leser. Und da es bereits zahllose Bücher gibt, die die Welt nicht braucht, bemühe ich mich um Klasse statt Masse. Qualität braucht Zeit.
Arthur Koestler schrieb mal, er wünsche sich, auch in zwanzig Jahren noch freiwillig gelesen zu werden. Die Maxime gefällt mir. Gute Gebrauchsliteratur hält lange und ist nach Jahrzehnten noch nahrhaft. 

Wer bekommt die Bücher zuerst zu lesen?
Freunde, die den Mut haben, mir ehrlich zu sagen, was ihnen an dem Text nicht schmeckt. Wenn mehr als zwei über dieselbe Stelle stolpern, liegt es im Zweifelsfall nicht an ihrer Beschränktheit, sondern an meiner. Dann muss ich die Passage noch mal überarbeiten oder streichen.

An welchem Projekt/Buch arbeitest Du aktuell?
Einem Neo-Noir auf Papier. Die Filme der schwarzen Serie faszinieren mich seit jeher, also habe ich ein Buch geschrieben, das wie ein Film daherkommt und in einer langen Rückblende erzählt, was ein mittelalterlicher Vater seiner Tochter immer verschwiegen hat. Seine Beichte ist zugleich eine Liebesgeschichte und die Erinnerung an eine böse Intrige, deren Nachwehen bis in die Gegenwart reichen und den Erzähler im Hier und Jetzt einholen. Es beginnt in Kanada, wechselt ins Berlin der Nach-Wende-Zeit und endet in Havanna, Kuba, wo die Intrige hinter der Intrige aufgelöst wird. Mitten in einem tropischen Sturm.

Du betreibst eine Schreibwerkstatt. Das ist sehr interessant. Wie läuft das so ab?
Die Teilnehmer produzieren verschiedenste Arten von Texten, diskutieren sie in der Gruppe, überlegen sich gemeinsam Schwerpunkte - und dann geht es um Dialoge, Hintergrundgeschichten, Plotentwicklung und Stilfragen. Verschiedenstes Handwerkszeug.
Andere, die schon weiter sind, stellen ihre Arbeiten und Projekte vor und stählen sie im Feuer der Kritik. Je nachdem. Ganz unterschiedlich. Am besten mal an einer teilnehmen.

Wenn ich Autorin werden möchte, was müsste ich für Vorraussetzungen mitbringen und wie lange dauert so eine Ausbildung? 
Lesen, lesen, lesen. Literatur lieben und hassen. Keine Angst haben, sich unangenehmen Fragen zu stellen und den Mut, die Mühen der Ebene auf sich zu nehmen und auch mal durch die Wüste zu marschieren. Schreiben ist ein einsames Geschäft. Handwerk kann man lernen, aber Genie liegt für die meisten immer noch im Fleiß, denn die wenigsten von uns sind so begnadet, begabt und sprachgewandt, dass ihnen auf Anhieb der große Wurf gelingt. Zehntausend Stunden benötigt ein Mensch in der Regel, um etwas halbwegs professionell zu beherrschen, doch Texte beherrscht man nicht, man dient ihnen. Jeder von uns hat mindestens eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden, aber oft brauchen wir Jahre, um den Weg zu finden, wie diese Geschichte erzählt werden will.
Also: Mut zur eigenen, inneren Stimme - viel Demut und viel Geduld. Dann kann Schreiben zu einem wunderbaren Entdeckungsprozess werden und uns neue Wege aufweisen, in der Welt zu sein. Denn es kostet zwar einen Haufen Schweiß - aber am Ende sollte es uns so sehr bereichern, dass der Applaus - der oft genug ausbleibt - nur noch ein "Extra" ist. Das eigentliche Geschenk ist der Prozess.
Albert Camus sagt, man müsse sich Sysiphus als fröhlichen Menschen vorstellen. Damit hat er - zumindest was Schriftsteller angeht - absolut Recht.
 
Was machst Du, wenn Du nicht gerade ein Buch schreibst? (Beruf und/oder Hobbys ?)
Überlegen, was ich als nächstes mache...

Hast Du eine Sammelleidenschaft? Wenn ja, welche?
Antike Fernsprecher. Alte Autos. Bücher. Ich mag Dinge mit Geschichte - und ich repariere lieber, als neu zu kaufen.

Treibst du Sport?
Mein Hund zwingt mich zum Spazierengehen und es gibt in der Nachbarschaft ein paar wunderbare Seen, die darum betteln, dass ich darin schwimme.

Bist Du auf den Hund (oder andere Haustiere) gekommen und könntest Du Dir vorstellen, eine Geschichte zu schreiben, in welcher ein Tier eine tragende Rolle spielt?
Mein Hund nimmt häufiger an Lesungen teil und ist auch schon mit Pseudonym in Texten aufgetaucht. Als Ermittler habe ich ihn noch nicht losgeschickt. Darüber muss ich nachdenken. Mein Lieblingsautor für den Einsatz von Tieren in Texten ist Michail A. Bulgakow. Ich bin ein großer Fan des Katers in 'Der Meister und Margarita'. Vorgestern habe ich das Bett mit Winston C. geteilt, dem getigerten Kater meiner Gastgeberin in Le Havre.

Hast Du einen Lieblingsort?
Wenn ich gut bin: Das Hier und Jetzt. Ansonsten: Ein Fenster mit Blick oder an einem See.


Da wir ein Buchblog sind, interessieren uns natürlich auch Deine Lesegewohnheiten!
Erinnerst Du Dich an Dein erstes selbst gelesenes Buch? Wenn ja, welches Buch war es?

'Der Räuber Hotzenplotz'.

Welches Buch hast Du als letztes gelesen und welches Buch liest Du aktuell?
'Fremde im Paradies' - eine Studie über Exilanten in Hollywood. Aktuell lese ich Johan Theorins 'So bitterkalt' - das mir der Autor vor drei Tagen geschenkt hat.

Welches Buch hat Dich bisher am meisten beeindruckt oder beeinflußt und warum?
Schwierig. Verschiedene Texte zu verschiedenen Zeiten. Und manche immer wieder. Da gibt es kein einzelnes, einziges Buch. So zu tun, als ob es das gäbe, wäre eine Unterlassungssünde.

Verrätst Du uns Dein Lebensmotto?
1. Versuch nicht gut zu sein, sei lieber ehrlich. Je weniger du dich selbst bescheißt, desto besser fährst du - und desto besser fährt im Zweifelsfall auch der Rest der Welt um dich herum.
2. Nimm dir Zeit zum Staunen. Dieser Augenblick kommt so nie wieder.
3. Vergiss nicht: Du bist nur ein Gast. Auf Durchreise. Richte unterwegs nicht mehr Schaden an, als unbedingt nötig.


Und zum Abschluß:
Welche Frage wolltest Du schon immer mal gestellt bekommen?

Die nach der Millionenauflage meines letzten Romans natürlich. Und ob ich bei der Verfilmung lieber Johnny Depp oder Axel Prahl in der weiblichen Hauptrolle hätte.
Keine Ahnung.

Gibt es eine Figur aus Deinen Büchern, mit der Du Dich liebend gerne mal auf einen Kaffee zusammensetzen würdest?
Fast alle. Damit sie mir IHRE Seite der Geschichte erzählen können...

Hier könnt Ihr Euch frei entfalten ;-)
Wer mag, kann gern auf meiner Heimatseite weiter stöbern: blutiger-ernst.com


Die Zeugenbefragung ist hiermit beendet. Die Ermittlerinnen können jetzt endlich in ihren wohlverdienten Feierabend gehen, doch nicht ohne ein dickes Dankeschön an Christoph Ernst für das tolle Interview.
Es hat uns sehr viel Spaß gemacht und wir hoffen auf baldiges Wiederlesen!

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