Mittwoch, 10. August 2016

The Girls (im englischen Original) - von Emma Cline



Sprachlich faszinierende Schilderung einer verirrten Seele


Autor: Emma Cline
Genre: Roman, Englisch
Erscheinungsdatum Erstausgabe : 14.06.2016
Aktuelle Ausgabe : 16.06.2016
Verlag : Chatto & Windus
ISBN: 9781784740450
Format: broschiert, flexibler Einband
Umfang:
355 Seiten
Sprache: Englisch


„The Girls“ ist Emma Clines vielversprechendes Erstlingswerk. Ein Roman, der sich eines sehr heiklen Themas annimmt und Abgründe auftut. Es war anfangs, nicht einfach Emma Clines Evie und den Girls zu folgen. Ich bedurfte einiger Kapitel, um mich in die Geschichte einzufinden. Doch die erstaunliche sprachliche Ausdrucksstärke der jungen Autorin, die es schafft auch kleinste Schattierungen und Nuancen der Gefühlspalette in Worte zu kleiden und dadurch sowohl emotionale Ergriffenheit als auch Abgestumpftheit und Ignoranz erlebbar zu machen, zog mich förmlich in den Plot und trieb mich durch Evies Leben.

Protagonistin ist die Ich-Erzählerin Evie, die ihr Leben aus zwei Perspektiven beleuchtet. Retrospektiv betrachtet die mittlerweile erwachsene, über 40 jährige Evie den lebensprägenden Abschnitt, als sie als 14 jährige kalifornische Teenagerin Ende der 60er in Kontakt zu einer kleinen Sekte kommt. Im Wechsel dazu schildert sie ihre gegenwärtige Situation, als arbeitslose Frau, die Unterschlupf im Ferienhaus eines alten Freundes gefunden hat.

Die 14 jährige Evie ist ein zutiefst verunsicherter Teenager. Ihre Hauptbezugspersonen, ihre Mutter, ihre Freundin Connie und ihr Vater geben ihr jedoch keinen Halt. Sie ist ein Scheidungskind, das in begüterte Verhältnisse hineingeboren wurde. Die Familie lebt mehr oder weniger von dem Vermögen der verstorbenen Großmutter, die früher eine berühmte Filmschauspielerin war. Evies Vater wohnt mittlerweile bei seiner Mitarbeiterin und die Mutter ist verzweifelt auf der Suche nach einem Mann und dem Sinn des Lebens. Evie hat mit Connie nur eine einzige Freundin, zu der sie aber auch keine tiefe Bindung hat. An einer Nichtigkeit zerbricht die Freundschaft. Als Evie auf das unkonventionell provokante Hippiemädchen Suzanne trifft, die einige Jahre älter ist als sie, ist sie sofort fasziniert und förmlich magisch angezogen. Denn Suzanne ist so anders als Evie, wirkt frei und unbeschwert. Zudem ist sie offensichtlich Teil einer Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, die Suzanne scheinbar Aufmerksamkeit und Anerkennung zollt. Durch Suzanne kommt auch Evie in diese „Gemeinschaft“. Sie wird mitgenommen in eine Kommune, die die Unkompliziertheit einer alternativen Lebensform darstellt, die Evie Liebe und Geborgenheit vorgaukelt, objektiv betrachtet aber marod, manipulativ und abstoßend ist. Die ganze Gemeinschaft dreht sich um den geheimnisvollen Russel.

Die erwachsene Evie berichtet aus der Gegenwart und reflektiert über die damaligen Geschehnisse. Hierbei gewährt sie tiefe Einblicke in die Abgründe ihrer Seele. Die heutige Evie erscheint mir als gescheiterte Existenz, die schwer geprägt wurde durch ihre Erfahrungen in jungen Jahren. Durch die Ankunft Julians, der Sohnes des Freundes, der ihr das Ferienhaus überließ, werden ihre Erinnerungen wachgerüttelt. Denn zunächst hält sie den jungen Mann und seine blutjunge Freundin Sasha für Einbrecher. Der vermeintliche Einbruch, lässt sie an ein Verbrechen aus der damaligen Zeit denken und auch die junge Sasha scheint Assoziation an die junge Evie zu erzeugen.

Von Anbeginn der Geschichte ist dem Leser bewusst, dass ein grauenvolles Verbrechen stattgefunden haben muss. Stück für Stück werden Entstehung, Opfer und der Grund offengelegt. Erstaunlich ist der Umgang und das Involvement Evies damit …

Der Charakter der Evie ist so unfassbar naiv und blauäugig, so hoffnungslos nach Geborgenheit, Liebe und Anerkennung heischend, dass ich sie das ein oder andere Mal am liebsten wachgerüttelt hätte. Sie war in ihrer Labilität sehr überzeugend und auch die sie umgebenden Personen so dermaßen ignorant und ichbezogen, dass es mich förmlich niederschmetterte. Evie ist schlicht gesagt kein Charakter, mit dem man sich identifizieren möchte, aber doch so lebensecht geschildert. Ein Teenager wie er sicher häufig vorkommt: seiner selbst nicht bewusst, zutiefst verunsichert und ohne stabiles soziales Umfeld. So ist es für mich gut nachvollziehbar, dass Evies Gedanken ständig darum kreisen, Beachtung zu finden und einfach gesehen zu.
Suzanne ist auf ihre besondere Art faszinierend, unfassbar und abstoßend zugleich. Andeutungsweise werden Beweggründe von ihr dargelegt. Doch sie bleibt ein Mysterium.
Die Schilderungen der Kommune und des Sektenführers Russel erinnern stark an Charles Manson. Russel scheint eine große Anziehungskraft auszuüben und ein starkes Charisma – zumindest auf labile Persönlichkeiten - zu haben. Er erzählt den Mädchen, was sie hören wollen. Er macht sie abhängig von sich und seiner Zuneigung, nimmt massiven Einfluss auf ihr Leben. Er zieht aber auch prominente Persönlichkeiten an. Bei näherer Betrachtung ist er ein armseliger Mensch, der andere manipuliert und dermaßen selbstverliebt und dabei gleichermaßen komplett kritikunfähig ist.


Fazit:
Im englischen Original eine sprachlich faszinierende, interessante und mitreißende Story, deren Protagonistin zwar fiktiv ist, deren Begebenheiten aber offensichtlich in Teilen auf wahren Begebenheiten beruhen. Wer tiefe Einblicke in verirrte Seelen und menschliche Abgründe mag, ist hier richtig: irritierend abstoßend und faszinierend anziehend zugleich.

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