Mittwoch, 25. Januar 2017

Trümmerkind

Fesselnde Geschichte aus der Nachkriegszeit


von Mechtild Borrmann


Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Verlag: Droemer HC
ISBN-13: 978-3426281376
Genre: Roman

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Im eisigen Winter 1946/47 sucht Hanno Dietz in den Trümmern nach Holz und Altmetall. Zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester Wiebke kämpft er Tag für Tag ums Überleben. Als er und Wiebke eines Tages einen etwa dreijährigen Jungen finden, der ganz allein ist, nehmen sie ihn mit. Trotz aller Widrigkeiten wächst der Junge, den sie Joost nennen, bei ihnen auf. Lange Jahre weiß er nichts über seine Herkunft und nicht nur seine vermeintliche Mutter Agnes Dietz, sondern auch Hanno schweigt über die Umstände, wie Joost zu ihnen gekommen ist. Denn unweit von dem kleinen Jungen entdeckte er in den Trümmern auch die nackte Leiche einer Frau.

Knapp zwei Jahre zuvor, im April 1945, muss Clara Anquist in der Uckermark miterleben, wie die Russen einmarschieren und ihr geliebtes Zuhause enteignen. Gemeinsam mit ihrer Schwester, deren Kindern und wenigen Bekannten sieht sie sich gezwungen zu überlegen, wie ihr Leben weitergehen kann, denn eine Zukunft auf dem Gut scheint es nicht mehr zu geben.

Jahrzehnte später besucht die Lehrerin Anna Meerbaum eben dieses Gut Anquist, um mehr über ihre Familiengeschichte zu erfahren. Ihre Mutter schweigt beharrlich, wenn die Sprache auf ihre Kindheit auf dem Gut kommt und auch die Kriegsjahre und ihre Flucht sind ein absolutes Tabuthema.

Mechtild Borrmann schafft es mit diesen drei Handlungssträngen ein sehr persönliches und berührendes Bild aus der Nachkriegszeit zu zeichnen. Nach und nach stellt sich heraus wie die ganz unterschiedlichen Schicksale doch miteinander verwoben sind. In spannender Weise erzählt sie die Geschichte zweier Familien und nimmt ihre Leser mit in die damalige Zeit. Mit einer klaren Sprache versetzt sie uns zurück und schildert eindringlich, wie Schuld und Verantwortung, Verdrängung, Angst und Gewalt das Leben bestimmt haben und teils immer noch bestimmen.

Leise und ruhig erzählt die Autorin und lässt ihren Figuren und der Geschichte genügend Raum sich langsam zu entwickeln. So ist ein atmosphärisch dichter Roman entstanden, der mich von Beginn an zu fesseln vermochte. Besonders die Stimmung und das Leben im zerstörten Hamburg wurden aus meiner Sicht sehr gut eingefangen. So sind es auch vor allem Joost und die Dietzens mit denen ich besonders mitgelitten und gehofft habe.

Einzig Anna Meerbaum blieb für mich ein wenig blass. Das hat mich allerdings nicht davon abgehalten bei ihrer Suche nach den Wurzeln der Familie mitzufiebern und zu hoffen, dass ihre Mutter irgendwann ihr Schweigen bricht.


Sehr gut ist die Einbindung der bis heute ungeklärten Trümmermorde aus Hamburg gelungen. Die nackte Frau, die im Roman von Hanno Dietz gefunden wird, ist eines der vier Opfer, deren Identität man tatsächlich schon 1947 in einer groß angelegten Aktion versuchte aufzuklären. Ebenso wie im Buch geschah dies unter anderem mittels tausender Plakate.

Mein Fazit: „Trümmerkind“ ist ein fesselndes Buch und erzählt trotz des fiktiven Inhalts anschaulich ein Stück Zeitgeschichte. Dabei kommt die Spannung bei weitem nicht nur von dem Verbrechen, dass die Autorin mit eingeflochten hat, sondern in erster Linie von den dramatischen Ereignissen im Leben der Dietzens und Anquists und der Frage, worin die genaue Verbindung zwischen ihnen liegt. Eine klare Leseempfehlung von mir.

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