Freitag, 14. April 2017

Demnächst in Tokio






  • Erscheinungsdatum Erstausgabe : 27.03.2017
  • Verlag : Europa Verlag
  • ISBN: 9783958901063
  • Fester Einband 368 Seiten
  • Genre: Historischer Roman
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Elisabeth ist 95 und weiß, dass sie nicht mehr lange leben wird. Aber sie möchte nicht abtreten, ohne ihrer Tochter Karoline die Wahrheit über deren Vater erzählt zu haben, die ganze Wahrheit. Schon so oft hat sie einen Brief an sie angefangen, ihn aber nie zu Ende gebracht. Wie erklärt man seinem Kind, was man sein ganzes Leben lang verschwiegen hat? Am Ende wird es kein Brief, sondern eine Lebensbeichte – wunderschön, berührend, mitreißend – und vor allem schonungslos ehrlich.

1934 erfährt Elisabeth, 18jährig, dass sie noch am selben Tag Ernst Wilhelm, den 39jährigen Sohn des Chefs ihres Vaters, heiraten und ihm bald nach Japan folgen wird: „So Gott will, sehen wir uns demnächst in Tokio.“ (S. 29)
Ihre Schwiegermutter ist ihr dankbar, denn Elisabeth ist Ernst Wilhelms Rettung vor den Nazis. Aber was hat Elisabeth davon? Einen Diplomatenpass, eine gesellschaftlich hohe Stellung und Geld. Will sie das alles überhaupt? Es interessiert niemanden!
Schon die Reise mit ihrer "Anstandsdame" Frl. Degenhardt (einer ältlichen Nonne) in der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok wirkt surreal. Frl. Degenhardt redet kaum mit ihr. An jedem Halt ist die Landschaft eine andere, von den Menschen ganz zu schweigen. Sie hat Angst vor dem, was sie in Japan erwartet. Sie kennt weder das Land, noch ihren Mann. Ja sie weiß nicht einmal, was in der Hochzeitsnacht passiert. Aber zumindest ihre Angst davor ist unbegründet, ihr Mann hat ein eigenes Schlafzimmer ... Noch mehr überrascht sie, dass er ihr alle Freiheiten lässt – nur stolz soll sie bitte auftreten, schließlich ist sie jetzt eine „von Traunstein“!
Auch Japan ist anders, als sie es sich vorgestellt hat. In Tokio mischen sich westliche Moderne und japanische Tradition, Straßenbahnen neben Rikschas, elektrische Straßenbeleuchtung neben Papierlaternen.
Während die Deutsche Botschaft eine eigene kleine Welt ist, wie in einem Kokon vor den Geschehnissen draußen verborgen, werden die Nazis erst in Deutschland und dann auch in Japan immer stärker und bestimmen bald auch den Alltag in der Botschaft.
Elisabeths Leben ändert sich grundlegend, als Alexander, ein Freund ihres Mannes, auftaucht. Die drei werden unzertrennlich. Aufgrund ihres Alters und ihrer Größe nennt er sie Zwerg. Aber als der Krieg ausbricht, wächst sie über sich hinaus und beweist mehr als einmal Courage. Aus dem Zwerg wird eine Löwin. Dann werden Vorwürfe gegen Alexander laut, er soll einen ganzen Spionagering geleitet haben?!

Elisabeth ist eine unglaublich beeindruckende Frau. Ihre Mutter war zeitlebens devot und hatte sie ebenfalls so erzogen. Als Ernst Wilhelms Frau muss sie das schnell ablegen, damit die anderen sie ernstnehmen, vor allem, als ihr Mann Botschafter wird. Auch ihre politische Bildung wird von ihm und Alexander geprägt. Sie ist sehr mitfühlend. Es interessiert sie, wie die Japaner wirklich leben, was sie denken, wie sehr sie ausgebeutet und unterdrückt werden. Sie begegnet ihnen auf Augenhöhe, nicht nur durch ihre Größe, sondern weil sie ihre eigene ärmliche Herkunft nie vergisst und versucht, hinter die ewig lächelnden und dienernden Gesichter zu schauen. Sie hat im Laufe der Handlung eine außergewöhnliche Entwicklung durchgemacht.

Zur besonderen Spannung des Romans trägt auch die Dynamik des Dreiergespanns bei – das Wechselspiel aus strengem Botschaftsalltag und der regelmäßigen Flucht in ihr Sommerquartier.

Die Beschreibungen Japans und der dortigen Verhältnisse sowie des Kriegsgeschehens sind sehr beeindruckend. Man weiß ja, worauf Deutschland und Japan zusteuern und trotzdem hofft man bis zuletzt, dass es spurlos an Elisabeth, Ernst Wilhelm und Alexander vorbeigeht. Ein Auf- und Ab der Gefühle beim Lesen ist unvermeidlich. Ich habe mit Elisabeth gelebt und geliebt, gehofft und gelitten – bis zuletzt, bis auch das letzte Geheimnis gelüftet wurde.
Alexanders Figur ist übrigens an den berühmten deutschen Spion Richard Sorge angelehnt. Das Buch hat mich dazu angeregt, mehr über ihn zu lesen. Sein Anteil am Kriegsgeschehen wurde sehr gut umgesetzt.

„Demnächst in Tokio“ ist eins meiner diesjährigen Highlights: spannend, gefühlvoll, lehrreich, fesselnd und zum Nachdenken anregend. Mehr kann man von einem Buch kaum erwarten.

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