Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Tödliche Armut
„Sie wollen eine forensische Analyse eines Tatorts? Sowas ist bisher kaum praktiziert worden. Es wird gerade diskutiert, ob das eine sinnvolle Ergänzung zu einer Obduktion sein könnte.“ (S. 47) Die junge Gerichtsmedizinerin Fanny und ihr Kollege Franz werden von der Polizei zum ersten Mal überhaupt an einen Tatort gerufen. Mitten in den Donau-Auen stehen ein paar armselige Lehmhütten, deren 6 Bewohner alle tot sind – ohne, dass eine Todesursache erkennbar ist. Auch die Obduktion der Opfer ergibt nichts Verwertbares. Sie finden zwar die Todesart heraus, aber nicht, wodurch diese verursacht wurde. „Ein rascher Mord, ohne Gift und Gewalt.“ (S. 201) Die Zeitungen schüren das Gerücht der Auwald-Bestie, die ermittelnden Polizisten machen Druck und Fannys Chef Prof. Kuderna tobt – und sie gibt nicht zum ersten Mal Widerworte. Am Ende bekommt sie sechs Wochen Zeit und die alleinige Verantwortung für den Fall – traut Kuderna ihr endlich etwas zu?
„Donaunebel“ ist bereits der dritte Teil der Totenärztin und wurde von mir wieder sehnsüchtig erwartet. Die Protagonisten sind mir seit dem ersten Fall ans Herz gewachsen. Ich fiebere und leide mit ihnen mit, denn Fanny und ihre Freunde geraten bei den Ermittlungen regelmäßig in Lebensgefahr. Außerdem hat Fanny einen mächtigen Gegenspieler, der sich in ihr Leben und ihre Fälle einmischt. Ich hoffe ja, dass sie ihn irgendwann zur Strecke bringt. Auch hier taucht er kurz auf – also unbedingt mit dem ersten Band beginnen, falls ihr das noch nicht getan habt.
Mir gefällt, dass Fanny trotz allem, was sie bisher erlebt hat, immer noch so mutig, furchtlos, neugierig und mitfühlend ist. Sie kann die Morde einfach nicht hinnehmen, sondern will das Schicksal der Toten um jeden Preis aufklären, obwohl es aussichtslos scheint. „Die Opfer waren allen gleich. Niemand wusste überhaupt, dass sie existieren. Zumindest jetzt würde ich ihnen gern eine Stimme geben. … Und wenn es nur zeigt, dass ihr Tod nicht allen egal ist.“ (S. 76) Dabei hilft ihr neben ihrer Sturheit auch, dass sie um die Ecke denken kann und sich nicht zu fein ist, andere um Hilfe zu fragen, und sich nicht immer an die gängigen Regeln und Konventionen hält.
Schon bei ihren ersten gemeinsamen Ermittlungen haben sie und Polizist Max sich ineinander verliebt, doch in letzter Zeit verbringt er seine Freizeit lieber mit seinem neuen Freund, engagiert sich in der Arbeiterbewegung und entfernt sich immer mehr von ihr. Kein Wunder, dass sich Fanny da lieber auf ihren Kollegen Franz verlässt, mit dem sie endlich einen Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlicht.
Auch ihre beste Freundin Tilde, eine Herzensbrecherin, hat schon viel Schlimmes erlebt, erholt sich aber langsam von den Spätfolgen ihrer Entführung, verlässt ihr selbstgewähltes Schneckenhaus und krempelt ihr Leben um.
Natürlich mischt auch Fannys Cousin Schlomo wieder kräftig mit, der es aufgrund seiner Andersartigkeit in der eigenen Familie nicht leicht hat, hier aber endlich über seinen Schatten springt und zu dem steht, was er ist.
René Anour scheibt unglaublich fesselnd, mit feinem Humor und überrascht nicht nur mit seiner für die damalige Zeit sehr modernen Mordmethode und wie diese sich in Zukunft leider noch entwickeln wird, sondern auch mit der Person des Mörders und dessen Motiv. Er zeigt, dass nicht nur in der Auenwaldsiedlung tödliche Armut herrscht, sondern auch unter den Fabrik- und Donauhafenarbeitern, weswegen diese sich zu Streiks aufwiegeln lassen und damit Immobilienspekulanten in die Hände spielen. „Die Reichen gehen über Leichen, um sich ein noch größeres Stück am Kuchen zu sichern.“ (S. 101)
Mein Fazit: Die Totenärztin ist für mich eine der besten historischen Krimiserien dieser Zeit, hervorragend recherchiert, extrem spannend und unterhaltsam erzählt.
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