Sonntag, 2. Oktober 2022

Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit

Eindringlich und anspruchsvoll 

von Natasha Pulley
Verlag: ‎Klett-Cotta (September 2022)
Gebundene Ausgabe: 544 Seiten
ISBN: ‎9783608986365
Genre: Zeitreise-Roman/ Fantasy 

Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG) 
Vorab-Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.

 

„Liebster Joe, komm nach Hause, wenn du dich erinnerst. M.“ (S. 42)

Doch Joe erinnert sich nicht. Vor einigen Monaten ist er am Gare du Roi in Londres gestrandet, ohne jegliche Erinnerung an das, was all die Jahre zuvor war. Londres – London – kommt ihm gleichermaßen seltsam vertraut wie fremd vor. Seine Frau ist ihm ebenso unbekannt wie jeder andere.

Und nun hat ihn diese seltsame Postkarte aus der Vergangenheit erreicht, die einen Leuchtturm auf den Äußeren Hebriden zeigt.

Natasha Pulley hat mir bereits mit „Der Uhrmacher in der Filigree Street“ einige spannende und mysteriöse Lesestunden beschert. Auch wenn sie mich damals nicht mit allen Aspekten der Geschichte restlos überzeugen konnte, war ich unglaublich neugierig auf ihr neues Buch (und nebenbei, in natura sieht das Buch noch ungleich schöner aus, als auf all den Abbildungen). Ein wenig hatte ich durch die Postkarte eine Art Liebesgeschichte, verkompliziert durch Zeitreisen, erwartet. Doch diese spielt – ebenso wie der titelgebende Leuchtturm – nur eine nebengeordnete Rolle.

Neben Joes Suche nach sich selbst und seiner Vergangenheit geht vor allem um die Auswirkungen, die Änderungen in der Vergangenheit mit sich bringen. In Natasha Pulleys Gedankenexperiment wacht Joe in einem London auf, das französisch ist, da die Franzosen und die mit ihnen verbündeten Spanier den Briten dieses Mal bei der großen Schlacht bei Trafalgar nicht unterlegen waren.

Die Geschichte ist komplex und springt immer wieder in der Zeit hin und her. Mal befinden wir uns um 1900 herum, dann wieder etwa 100 Jahre zuvor. Es ist kein Buch, dass man einfach so nebenher lesen kann. Ob wirklich alles der der Geschichte zugrunde liegenden eigenen Logik folgt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, da Zeitreisen an sich etwas unübersichtlich sind (wenn ich das mal so sagen darf), doch mir ist zumindest kein wirklicher Fehler aufgefallen.

Natasha Pulley beschreibt alles sehr detailliert, manchmal fast ausschweifend, doch für mich passt der Tonfall perfekt zur jeweiligen Zeit und ich habe mich mitgenommen gefühlt nach London, zum Leuchtturm und in die Kriegswirren der britisch-französischen Kolonialkriege. Auch wenn die Autorin die Geschichte verändert und daher keinen klassischen historischen Roman schreibt, wirkt es durch die Darstellung des Konflikts, der aus unserer heutigen Sicht eingeschränkten technischen Möglichkeiten und der teils gnadenlos anmutenden Handlungsweisen (Schwerverletzte werden von den eigenen Leuten einfach erschossen), dennoch historisch. Dadurch wirkt der Roman realer, als das Thema Zeitreisen vermuten lässt.

Eigentlich alle handelnden Figuren waren mir nicht durchweg sympathisch, manche Verhaltensweisen regelrecht abstoßend, aber dennoch habe ich mit allen mitgefiebert. Der Schreibstil ist eindringlich und man spürt Joes Sehnsucht endlich bei sich anzukommen, wo und wann auch immer.

Mein Fazit: „Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit“ ist kein typischer Zeitreiseroman und hat mir vielleicht sogar gerade deshalb sehr gefallen. Die Geschichte ist intensiv, komplex und hat mich durch die geschickte Verknüpfung verschiedener Genres und Themen überzeugt.

2 Kommentare:

Weltenwanderer hat gesagt…

Schönen guten Morgen!

Freut mich dass es dir auch so gut gefallen hat - ich fand es einfach großartig! Ich hatte ja auch mit mehr "Liebesgeschichte" gerechnet und ja, die wirkte eher in einer Nebenrolle mit, ABER dennoch hat sie diese Geschichte unterschwellig getragen, was ich äußerst faszinierend fand, wie die Autorin das ganze so aufgebaut hat. Ich fand das Buch sogar noch besser als die Filigree Street :D

Liebste Grüße, Aleshanee

Meike Jashrin hat gesagt…

Liebe Aleshanee, ich freue mich immer, Deine Kommentare zu lesen. Vielen Dank dafür. Mir hat das Buch auch besser gefallen als der Uhrmacher in der Filigree Street. Und stimmt, die Liebesgeschichte ist sehr geschickt eingebunden, ohne dass sie in den Vordergrund drängt.
Viele liebe Grüße zurück, Meike