Charlie and His Orchestra
… sind 15 vollkommen unterschiedliche Künstler, deren einzigen Gemeinsamkeiten die Liebe zu ihrer Musik und ein perfekt geschnittener Smoking zu sein scheinen. Zu dieser Erkenntnis kommt der österreichische Schriftsteller Fritz Mahler, der 1941 von William Joyce alias Wilhelm Froehlich engagiert wird. Er soll einen Roman über Joseph Goebbels‘ gegen England gerichteten Propagandasender German Calling schreiben, dessen Zugpferd „Ein hauseigenes Orchester, sozusagen eine musikalische Schattenarmee … die in der Lage sei, die Briten Tag und Nacht mit dem allerfeinsten Propagandajazz zu bombardieren.“ (S. 18) ist.
Mahler wird dafür extra nach Berlin geholt. Doch je länger er dort lebt, sich durch die Nachtclubs treiben lässt, in dem Versuch, sich mit den Musikern anzufreunden, die ihn auf Abstand halten, weil sie ihn für Goebbels Spion halten, um so weniger weiß er, woran er seine Handlung festmachen soll. Ihm fehlt der rote Faden, die Leitfigur. Mehr aus einer Laune heraus rückt er Froehlich in den Mittelpunkt – und plötzlich schreibt sich das Buch fast von allein. Statt eines Romans über den Sender und die Jazzband, die aus Ausländern, Juden und Homosexuellen besteht, versucht er sich an Froehlichs wechselvoller Biographie, der als englischer Nazi nach Deutschland kam. Währenddessen tobt um ihn herum der Krieg, von dem Mahler außer ein paar Bombenangriffen nichts mitzubekommen scheint.
„Lange, verschnörkelte Sätze, altmodische Wörter, manierliche Wendungen …“ (S. 276) sagt Froehlich über Mahlers Roman, und genauso empfinde ich auch Demian Lienhards Schreibstil. Er kommt vom Hundertsten ins Tausendste, verliert sich in scheinbaren Nebensächlichkeiten, in Mahlers wirren Gedanken und Träumen. Alles ist irgendwie surreal, man weiß nie, ob es jetzt Dichtung oder Wahrheit ist und die Schlussbemerkungen inkl. Nachwort verwirren noch mehr. Darin erzählt Lienhard, dass er auf der Suche nach seiner Familiengeschichte in einem Archiv auf das Manuskript dieses Romans gestoßen ist und dieses jetzt veröffentlicht hätte.
Vielleicht verstehe ich das literarische Konzept einfach nicht, vielleicht bin ich auch mit falschen Erwartungen an das Buch gegangen. Ich hatte gehofft, etwas über die einzelnen Musiker und ihre Schicksale zu erfahren und was Joyce im Radio erzählt, um die Hörer zu beeinflussen, stattdessen geht es um Mahlers Ringen um Worte. Wichtige Fakten werden in Nebensätze eingestreut, die man wie Perlen suchen muss. So erzählt ihm einer der Musiker in einer lauen Stunde, dass das Orchester sie vor der Front rette. „Zu wenig Jude, um von der Wehrpflicht befreit zu sein, aber zu viel, um als Deutscher durchzugehen.“ (S. 191)
Auch wenn es nicht mein Buch war, lasst Euch davon bitte nicht abschrecken und bildet Euch eine eigene Meinung.
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