Paris ist immer eine Reise wert
Seit ihrem Abitur reist Lola kellnernd um die Welt. Inzwischen ist sie Anfang 30 und in Bordeaux hängengeblieben, als ihr Vater anruft. Ihre Großmutter Rose ist verschwunden, hat nur einen Zettel hinterlassen auf dem steht: „Macht euch keine Sorgen. Ich bin auf Reisen.“ (S. 36) Natürlich sorgen sie sich trotzdem. Rose ist über achtzig und Einzelgängerin, war seit Jahrzehnten nicht verreist.
Also fährt Lola nach Paris und sieht sich in ihrem ehemaligen Viertel um, trifft alte Bekannte und lernt neue kennen. Sie fragt jeden nach Rose, der sie kennen könnte, und erfährt einiges neues über sie. Dabei kommt sie einem Familiengeheimnis auf die Spur. Und sie trifft Fabien wieder, den sie mit 14 geküsst und dann ganz schnell vergessen hat – oder doch nicht?! Fabien hingegen konnte sie sich nie aus dem Kopf schlagen und wird immer ganz hibbelig, wenn sie in seinem Café auftaucht …
„Alle scheinen ganz genau zu wissen, wer sie sind und wo sie sein wollen. Nur ich… Ich scheine nie anzukommen.“ (S. 196) Lola hat früh ihre Mutter verloren. Ihr Vater und Rose haben sie zwar liebevoll aufgezogen, aber über den Tod wurde nie gesprochen. Da ihr Vater Portier ist, hat er sie oft mit ins Hotel genommen. Dort verbrachte sie viel Zeit in der Küche, wurde eine talentierte Bäckerin, hat aber nie etwas daraus gemacht. Nach dem Abitur wollte sie nur weg, aber wohin und was sie dort machen will, wusste sie weder damals noch heute. Lola war sich nur sicher, dass sie nie zurück nach Paris wollte. Doch schon nach wenigen Tagen stellt sie fest, dass sie Bordeaux und ihr Leben dort gar nicht vermisst, sondern in Paris heimisch ist.
Hinter dem Pseudonym Lily Martin steckt die Bestsellerautorin Anne Stern und wie in ihrer Reihe um die Hebamme Huld Gold wird es auch in den „Sommertage im Quartier Latin“ etwas spannend, weil Lola nicht nur nach Rose, sondern auch den Beweggründen für ihr Verschwinden sucht.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten erzählt. Neben Lola und Fabien sind das u.a. ihr Vater, ein Lebkuchenbäcker mit dem Hang zu Poesie, eine alternde Operndiva und ein Schulfreund von Lola, der inzwischen Concierge ist. Einzig Rose bleibt (fast) stumm.
Ich habe mich beim Lesen sofort nach Paris ins Quartier Latin zurückversetzt gefühlt, wo wir vor fast 25 Jahren unsere Hochzeitsreise verbracht haben – in einem ganz ähnlichen winzigen Studio wie das, indem Rose wohnt. Der Roman versprüht einen ganz bezaubernden Charme und lässt Erinnerungen und Sehnsüchte wach werden.
Durch die regelmäßigen Personen- und Ortswechsel fühlt es sich an, als würde man mit einem Baguette unterm Arm und einer Flasche Rotwein in der Hand durch das Quartier Latin flanieren. Aus den Cafés und Bistros klingen alte Chansons, die von Sehnsucht und Liebe erzählen. Ein Hauch von Hoffnung liegt in der Luft, aber erst müssen alte Wunden heilen, um bereit für Neues zu sein. Denn „… wo, wenn nicht in Paris, kann man ein neuer Mensch werden? Kann jeden Tag ein anderer sein?“ (S. 121)
Ein zauberhafter Sommerroman mit viel Pariser Flair, einem kleinen Geheimnis und genau der richtigen Prise Romantik.
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