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Eine unterschätze Frau
„Florrie, ich habe etwas aufgedeckt. Es geht um jemanden von hier.“ (S. 29) sind Archies letzte Worte an Florence Butterfield, kurz darauf ist er tot, unglücklich im Garten gestürzt und auf den Kopf gefallen. Da er ihr einziger richtiger Freund im Seniorenheim Babbington Hall bei Oxford war, fehlt er ihr besonders. Aber auch die Heimleiterin Renata kommt nur schwer über seinen Tod hinweg, gibt sich die Schuld daran: Hätte sie das weitläufige Gelände besser pflegen lassen müssen? In ihrer gemeinsamen Trauer kommen sich die beiden Frauen näher, obwohl sie viele Jahrzehnte trennen. Und so vertraut Renata Florrie eines Tages an, dass sie zum ersten Mal im Leben verliebt ist. Als sie dann in der gleichen Nacht aus dem Fenster stürzt, glauben alle an einen Selbstmordversuch, weil Renata so zurückgezogen und anscheinend freudlos gelebt hat. Doch Florrie weiß es besser und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei bekommt sie unerwartet Hilfe vom ehemaligen Lateinlehrer Stanhope Jones, der Gärten und Rätsel genau so liebt wie sie …
Florrie ist fast 88 und hat ein aufregendes Leben hinter sich, von dem in Babbington Hall niemand weiß, weil sie nie gefragt wurde. Für die anderen Bewohner ist sie die Eibeinige im Rollstuhl, die keine Familie hat und nie Besuch bekommt. Und Florrie ist keine, die von sich aus erzählt. Ganz im Gegenteil, sie verschließt ihre Erinnerungen ganz tief innen, damit sie ihr nicht (mehr) wehtun können. Doch die Freundschaft mit Renata und deren erste Liebe bringen sie dazu, sich an ihr Leben zu erinnern, an die sechs Männer, die sie geliebt hat (an den siebenten, den „Hackney-Vorfall“, will sie auch nach 70 Jahren nicht denken) und an Pinky, mit der sie eine lebenslange Freundschaft verband.
Sie wurde oft unterschätzt, galt als zu groß, dick und ungeschickt und war darum jedes Mal verblüfft, wenn sich ein Mann für sie interessierte oder sie eine neue Freundin fand. Aber das machte Florrie auch frei, sie scherte sich nicht um Konventionen, wenn sie eh nirgendwo richtig reinpasste, und lebte ihr Leben weitgehend genauso, wie sie es wollte. Dabei musste sie einige herbe Verluste hinnehmen, die sie aber zum Glück nie ganz brechen konnten.
Ich musste mich an Susan Fletchers ungewöhnlichen, weitschweifigen Stil erst gewöhnen. Sie erzählt Florries Leben in Rückblicken, die immer nur winzige Details verraten und Dinge andeuten, aber nie alles sagen.
Außerdem ist er sehr philosophisch. Die Bewohner von Babbington Hall sind sich ihrer Endlichkeit bewusst, aber auch des Glücks und der Fehler, die sie im Laufe ihres Leben erfahren und gemacht haben.
Durch Florries und Stanhopes Nachforschungen lernt man das Heim, ein altes Herrenhaus, und die anderen Bewohner kennen, die täglichen Abläufe und welche Animositäten es zwischen den verschiedenen Personen gibt. Dabei stößt man tatsächlich auf einige Mordmotive. Doch wer von den Verdächtigen wäre in Renatas Wohnung gekommen und hätte die Kraft gehabt, sie aus dem Fenster zu stürzen?
Die zarte Freundschaft, die sich zwischen Florrie und Stanhope entwickelt, macht einen weiteren Reiz der Geschichte aus. Er ist seit langem der erste Mann, der sie vorbehaltlos annimmt und so sein lässt, wie sie ist. Er interessiert sich zwar für ihre Vergangenheit, akzeptiert aber, dass es Sachen gibt, über die sie nicht reden will oder kann. Mit seiner Skurrilität, seinem Faible für gewagte Farbkombinationen seiner Kleidung und seinem scharfen Verstand passt er gut zu Florrie, außerdem weiß er, wie sie ihren Tee mag. Und an einem Punkt, wo sie den Mut und Glauben verliert, hat er genug für sie beide.
„Florence Butterfield und die Nachtschwalbe“ ist die berührende Lebenserinnerung einer oft unterschätzen Frau mit einem Schuss cosy Crime, nichts für aufregende Lesestunde, aber für welche, die zum Nachdenken anregen.
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