Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn
… wurden Irma und Josh schon in der Schule geneckt und leider gibt es immer noch Gäste, die das diskriminierende Kinderlied in Irmas vegetarischem Restaurant Aubergine singen. Dabei mag Irma ihre runden Formen, so sieht man gleich, dass ihre überwiegend pflanzliche Küche nicht für Verzicht, sondern für Genuss steht.
Schon 2015 hat Ingrid Noll mit „Der Mittagstisch“ ein Buch geschrieben, in dem eine Küche die zentrale Rolle spielt. Damals haben nicht alle Protagonisten überlebt, aber der "Gruß aus der Küche" ist kein Krimi, sondern eher ein Spannungsroman. Irma hat ein bunt gemischtes Völkchen um sich geschart, welches sich gern Streiche spielt, die auch mal über die Schmerzgrenze hinausgehen. Ob einer der Scherze aus dem Ruder läuft und alle überleben, verrate ich aber nicht.
Irma hat aus einer alten Dorfkneipe ein erfolgreiches vegetarisches Restaurant gemachen, dabei wirkt sie oft zu weich und gutmütig. Aber sie hat Temperament und ihr rutscht schon mal die Hand aus, wenn jemand zu frech wird. Ansonsten lässt sie ihren Angestellten viel durchgehen und der ewige Student Josh, mit dem sie mal zusammen war, hat als Oberkellner / Buchhalter / Hausmeister sowieso eine Sonderstellung, da sie auf ihn angewiesen ist. Natürlich hofft sie, dass er sie irgendwann heiratet, doch noch gräbt der Hahn im Korb jede Frau an, die ihm gefällt. Allerdings hat er auch eine gute Seite. Er wollte eigentlich Lehrer werden und unterrichtet jetzt unauffällig die 16jährige Küchenhilfe Lucy in Mathe und Englisch, weil sie die Schule schmeißen will. Lucy ist übermütig (und überheblich) und hat den Spitznamen Kichererbse – und leider auch deren Konzentrationsfähigkeit. Aber sie ist in Josh verliebt und will ihn beeindrucken, was er für seine Lehrzwecke ausnutzt. Zur Stammbesetzung gehört außerdem noch Irmas beste und älteste Freundin Nicole. Die zweifache Mutter ist nicht besonders helle und lässt sich oft auf die falschen Männer ein, aber sie hat ein Herz aus Gold und sich immer für Irma eingesetzt. Und seit einiger Zeit hilft „der Gemüsemann“ in der Küche aus – ein über 80jähriger Professor, der zu Hause einsam ist und darum jeden Tag in die Aubergine kommt.
Das Buch lebt von den skurrilen Charakteren und zwischenmenschlichen Rangeleien, ihren Wünschen, Träumen und Ängsten. Es erinnert ein bisschen an Shakespeares „Sommernachtstraum“, weil überkreuz geliebt wird und sich die passenden Paare nicht finden können oder wollen.
Mein Lieblingscharakter ist Irma. Sie ist cool, hat Mumm und lässt sich nicht reinreden, weder in die Karte noch in die Auswahl ihrer Angestellten, auch wenn die sich nicht immer grün sind. Und obwohl Josh beileibe kein Sympathieträger ist, konnte auch mich mit seiner Fürsorge um Lucy überraschen.
Ich war erstaunt, wie firm Ingrid Noll in der Jugendsprache ist, bei manchen Worten musste ich echt überlegen, was gemeint ist. Und die Veganer- und Vegetarierwitze haben mich regelmäßig zum Schmunzeln gebracht, genau wie das Denglisch, mit dem Josh Nicole veralbert.
Gefallen hat mir auch die Doppeldeutigkeit des Titels. Mit "Gruß aus der Küche" ist nicht nur das Amuse-Gueule gemeint, sondern auch die Streiche, die sich alle Beteiligten spielen und die Ohrfeigen, die Irma verteilt, wenn sie dabei übertreiben.
Eine Besonderheit des Hörbuches ist, dass die Protagonisten von unterschiedlichen SprecherInnen gesprochen werden, was das Unterscheiden der Charaktere natürlich einfacher macht.
Mich hat Ingrid Noll wieder sehr gut unterhalten, auch wenn ich eigentlich gar keine Auberginen mag 😉.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen