Am Montag war der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Passend dazu lesen wir gemeinsam den neuen Roman von Bettina Storks "Die Schwestern von Krakau".
Hasi: Hat Dich der Anfang des Buches auch so mitgenommen, Patno? Stell Dir vor, Du sitzt 1943 als jüdische Widerstandkämpferin im Gefängnis in Krakau und weißt, dass Du nicht mehr lange zu leben hast. Und dann nutzt Du jede Minute und jedes Stück Toilettenpapier, um Deine Geschichte aufzuschreiben, in der Hoffnung, dass jemand sie später findet und für die Nachwelt bewahrt. Damit hatte mich Bettina Storks sofort eingefangen.
Aber auch die Geschichte der beiden Schwestern Lilo und Helene ist sehr bewegend. Helene hat sich vor Jahren von der Familie losgesagt und ist nach Paris gegangen, hat aber heimlich mit Lilo Kontakt gehalten und geschrieben, dass sie einen Sohn und einen Partner hat, dessen Namen sie nie verrät. Nach dem Ausbruch des Krieges reißt der Kontakt ab und Lilo wird fast verrückt vor Sorge.
Patno: Oh ja, der Prolog ist krass. Spannender hätte der Einstieg in die Geschichte nicht sein können. Wir haben schon viele Romane aus dieser Zeit gelesen und doch berührt mich die Thematik immer aufs Neue. Der Mut dieser Widerstandskämpfer ist beeindruckend. Im ersten Kapitel springt die Handlung dann ins Jahr 2017. Tatjana und Edith kommen ins Geschehen. Bei mir entfachte das Neugier. Schnell war klar, dass sie mit Lilo und Helene verwandt sind und herausfinden wollten, was ihren Großeltern damals widerfahren ist. Sag mal Hasi, warst Du schon einmal in Krakau? Ich noch nie, habe aber während des Lesens Lust bekommen, mir diese Stadt einmal anzusehen.
Hasi: Das übelege ich tatsächlich die ganze Zeit. Ich vermute, dass wir in meiner Kindheit im Rahmen einer Reise nach Polen mal da waren, kann mich aber nicht genau erinnern. Aber Du weißt ja, sag mir Bescheid, wenn Du hinfahren möchtest und ich stürze mich in die Organisation 🤓.
Patno: Klingt nach einem Plan! Bettina Storks hat wieder perfekt recherchiert. Sie vermittelt in ihrem Buch so viele interessante historische Fakten, die mir neu waren. Einiges habe ich noch einmal gegoogelt. Ging es Dir beim Lesen auch so?
Hasi: Na klar. Ich habe die historischen Personen und die Apotheke gegoogelt, aber auch, wie sich die deutsche Enklave dort entwickelt hat. Und ich habe auf Google Maps nachgesehen, wie groß bzw. klein das (Stadt-)Gebiet eigentlich war. Außerdem habe ich versucht, mich in Lilo hineinzuversetzen, wie unwohl sie sich gefühlt haben muss. Von einer Minderheit wird sie zur Besatzungsmacht. Ihre Eltern erwarten plötzlich, dass sie ihre Arbeit aufgibt, nur weil die Apotheke jetzt im Ghetto liegt - dabei ist der Apotheker Thadeusz Pankiewicz nicht mal Jude. Und sie ist strenge Katholikin, ihre Eltern haben ihr ein ganzen Leben lang Mitgefühl und Nächstenliebe gepredigt, aber jetzt sollen plötzlich andere Regeln gelten.
Patno: Neben dem Erzählstrang aus der Vergangenheit, gibt es auch einen, der im Jahr 2017 spielt. und da kommen die Nachfahren zu Wort kommen - Tatjana und Edith. Ich fand es spannend, wie sie sich so viele Jahren später mit ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt haben und Lilos und Helenes Spuren in Krakau beziehungsweise in Paris verfolgt haben. Die Mischung aus Fiktion und tatsächlichen historischen Fakten gefällt mir sehr.
Hasi: Mir ist beim Lesen wieder aufgefallen, dass es mir im Prinzip so geht wie Édith und Tatjana und ich nichts vom Leben meiner Großeltern im Krieg weiß. Es wurde einfach nicht drüber geredet. Ich habe erst nach der Wende erfahren, dass die Eltern meines Vaters z.B. von der masurischen Seenplatte stammen. Aber sie haben Deutsch gesprochen ...
Patno: Das kann ich nachempfinden. Leider können wir unsere Großeltern nicht mehr befragen. Ich habe wenige Informationen, wie es meinen Großeltern den Krieg erging. Mein Urgroßvater war ein Antifaschist und damals mit Ernst Thälmann in Buchenwald inhaftiert. Meine Großmutter erzählte, dass er nach seiner Entlassung psychisch krank wurde und durchdrehte. Mein Großvater war noch im Krieg, als meine Mutter geboren wurde und hat nur ein verschlüsseltes Telegramm bekommen, dass das „Paket“ angekommen ist. Er hat seine Tochter erst im Alter von zwei Jahren kennengelernt.
Hasi: Der Vater meiner Mutter war Kommunist und auch inhaftiert, sie weiß aber nicht, wo. Darüber wurde einfach nicht gesprochen. Angenommen, Du würdest bei Deiner Mama jetzt doch noch Unterlagen finden, so wie Édith und Tatjana - würdest Du Dich auch auf die Suche machen?
Patno: Gute Frage. Ja, ich denke, ich würde auf Spurensuche gehen, besonders, wenn es um Familienmitglieder gehen würde, deren Schicksal unklar geblieben ist. Wenn man die derzeitige politische Entwicklung in unserem Land sieht, wird mir Angst und Bange. Da sind viele Parallelen zu damals.
Hasi: Ja, da sind wir wieder beim Thema. An einer Stelle sagt Lilo: „Haltung und Handeln sind oft zwei verschiedene Dinge. Besonders in diesen Zeiten, wo alles verdreht ist.“ (S. 202) Hoffentlich handeln am 23.2. alle richtig ... Wollen wir erst mal weiterlesen?
Patno: Ja, lass uns schnell weiterlesen. Ich bin gespannt, was Tatjana und Edith noch herausfinden.
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