„Was war das nur für ein seltsamer Ort, an dem Ratten freier waren als Menschen ?“ (S. 103)
Berlin, Ostern 1932: Hulda Gold arbeitet nach der Einschulung ihrer Tochter Meta tageweise im Frauengefängnis Barnimstraße, wo sie Schwangere, Mütter und Babys betreut. Bei einer Untersuchung bricht ihre Patientin Anna in Tränen aus. Eine Mitgefangene ist plötzlich gestorben. Im Gefängnis findet man selten echte Freunde, doch Ruth war die Einzige, die Anna freundlich begegnet ist. Erst als Hulda auf Kommissarin Irma Sigel trifft, wird klar: Ruth wurde ermordet – und Anna hat bereits einmal auf genau diese Weise getötet. Obwohl Hulda und Irma sich noch nie leiden konnten, halten beide Anna diesmal für unschuldig. Und je mehr sie miteinander zu tun haben, desto deutlicher wird, wie ähnlich sie sich in ihren Lebensentwürfen sind: „Sie war, in den Grenzen ihrer Möglichkeiten, eine freie Frau.“ (S. 161)
Hulda kämpft mit dem Spagat zwischen Hebammenarbeit und Muttersein. Sie liebt ihren Beruf, doch die Sorge, Meta zu kurz kommen zu lassen, bleibt. Zum Glück helfen Metas Großeltern und Huldas Vater, während ihr Mann Max wenig Verständnis zeigt. Die Ehe ist angespannt, Hulde entspricht nicht dem Ideal der Hausfrau, vieles bleibt an Max hängen. Ihre Freundin Jette versichert ihr immer wieder, dass sie eine gute Mutter und Partnerin ist, aber die Zweifel bleiben.
Gleichzeitig verschärft sich das politische Klima. Nach dem ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl steht ein zweiter an – hoffentlich gegen die NSDAP. Denn auch auf dem Winterfeldplatz wird die Stimmung immer eisiger. Ihr Freund Bert und sein Partner werden angegriffen, Hulda selber aufgrund ihrer jüdischen Herkunft misstrauisch beäugt. Max erhält ein Angebot, Deutschland zu verlassen, während Hulda (noch?) nicht bereit ist, ihre Heimat aufzugeben. „Sie glauben noch an Wunder, was, Fräulein Gold?“ (S. 157) Doch kann sie Max verbieten, für sich und seine Söhne aus erster Ehe einen sicheren Weg zu suchen?
Das Setting im Frauengefängnis fand ich besonders gelungen. Trotz seiner Lage mitten in Berlin wirkt es wie eine abgeschottene Insel mit eigenen Regeln und einer strengen Hierarchie, in der Anna als Mörderin ganz unten steht.
Huldas moderner Arbeitsplatz kontrastiert mit dem trostlosen Innenhof, der jede Hoffnung erstickt. Viele ihrer Patientinnen sind von der Mutterrolle überfordert und fürchten, nach ihrer Entlassung wieder in die ausweglose Situation zurückzufallen, aus der sie gekommen sind. Hulda gibt ihnen mit, was sie selbst kaum glauben kann: „… eine Mutter kann alles. Sie ist der stärkste Mensch der Welt.“ (S. 399)
„Der Preis der Freiheit“ ist bereits der 8. Band der Reihe und hat mich von der ersten Seit an gepackt. Anne Stern erzählt atmosphärisch dicht, macht das Berlin der frühen 1930er, politische Spannungen und gesellschaftlichen Wandel lebendig. Besonders habe ich mich über das Wiederlesen mit bekannten Protagonisten wie Karl North sowie den Auftritt von Kriminalrat Gennat und seiner backenden Sekretärin gefreut. Das verleiht dem Roman zusätzliche Authentizität.
Ein wichtige Reihe #gegendasvergessen.

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