Montag, 29. Dezember 2025

Buddyread: Grand Hotel Avalon

"June war der Geist des Avalon, das Süßwasser sein wundervoll pochendes Herz. Aber wenn sie fehlte – dann war das Avalon ein riesiges, hässliches Tier, und das Süßwasser verlieh den Gedanken mehr Macht, als June allein es je gekonnt hätte." (S. 361 /362)

Im Januar 1942, kurz nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor, erfährt June Hudson, die Leiterin des Grandhotel Avalon, dass das Hotel beschlagnahmt wird. Fortan werden dort Deutsche, Japaner und Italiener interniert, bis sich Möglichkeiten zum Austausch gegen amerikanische Kriegsgefangene ergeben. Das abgelegene Avalon in den Appalachen scheint dafür ideal. Noch bevor die ersten „Gäste“ eintreffen, rücken FBI und CIA an: Das Hotel wird verwanzt, das Personal überprüft, hohe Zäune werden errichtet.
Trotz aller Beschränkungen versuchen June und ihre Angestellten, den Betrieb aufrechtzuerhalten, als handle es sich um ganz normale Gäste, nicht um Feinde. Doch je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird das. Denn das Avalon ist eng mit den darunterliegenden Süßwasserquellen verbunden, die als Heilwasser gelten. Dieses Wasser scheint beinahe magisch: Es nimmt die dunklen Stimmungen der Menschen auf. Um die Balance zu halten, muss June sich regelmäßig mit der Quelle verbinden und das Negative in Positives verwandeln. Ihr Beruf ist längst zu einer Berufung geworden — doch wie lange kann sie diese Last noch tragen?

Hasi: Puh, also das Buch hatte es wirklich in sich. Ich hatte eine Geschichte über den 2. WK, speziell über die Unterbringung von Kriegsgefangenen in den USA erwartet, und mir nebenbei ein bisschen Luxus erhofft. Mit der phantastischen Komponente hatte ich nicht gerechnet. Wie ging es Dir damit, Patno? Hat Dich das Surreale auch an den "Goldnen Topf" von E.T.A. Hoffmann erinnert, den wir in der Schule gelesen haben?  

Patno: Ehrlich gesagt, versuche ich immer unvoreingenommen an ein Buch heranzugehen. Ich hatte also zunächst keine Erwartungen. „Der goldene Topf“ habe ich leider nicht gelesen. War bei uns kein Schulstoff. Daher kann ich über mögliche Ähnlichkeiten nichts sagen. Die Autorin ist ja bereits durch ihre Fantasiewerke bekannt, Daher hatte ich etwas In der Richtung vermutet. Dennoch habe ich lange gebraucht, in den Roman hineinzufinden. Die Geschichte plätschert lange vor sich hin. An manchen Stellen wusste ich nicht genau, was die Autorin mir sagen wollte. Ich habe mich durch die Seiten gekämpft. Die Handlungsstränge um die kleine Hannelore und um Sandy haben mich gefesselt und zum Ende hin auch schockiert. Wie hat dir die Charakterdarstellung der June gefallen und konntest du die handelnden Personen ihrer Rolle immer zuordnen? 

Hasi: Hannelore und Junes Kampf um deren Freiheit hat mich auch am meisten berührt und gefesselt. Hannelore ist etwas ganz Besonderes, und ihr Vater nutzt das ohne ihr Wissen / Verstehen aus. June erkennt sich in ihr wieder - sie war als Kind auch so. June ist überhaupt ein interessanter Charakter. Sie macht alles, um das Hotel trotz Requirierung am Laufen und das Wasser bei Laune zu halten. Ihre symbiotische Beziehung mit dem Wasser macht einen großen Teil der Handlung aus, auch wenn man diese nicht so richtig versteht. Sucht sich das Wasser sein Gegenstück aus oder ist es Veranlagung? Ich habe ja lange gedacht, dass Hannelore Junes Nachfolgerin wird, damit die endlich ein Privatleben haben kann und nicht mehr nur mit dem Avalon verheiratet ist. Aber Maggie Stiefvater löst es ganz anders auf.
Ohne zu viel zu verraten: Sandy hat mich auch geschockt. Ein verrückter Plottwist, den die Autorin da eingebaut hat. 
Ist dir eigentlich die Form der Treppe auf dem Cover aufgefallen und der Bezug zum Inhalt? Ich hab erst ziemlich spät begriffen, dass es wie das Innere eines Schneckenhauses aufgebaut ist. Und Schnecken spielen ja auch eine wichtige Rolle. 

Patno: Das Buchcover finde ich klasse. Die Treppe ist mir schon aufgefallen, aber ich habe sie tatsächlich nicht in Bezug zu Schnecken gesehen. Interessanter Aspekt. Ich finde es ziemlich schräg, dass Kriegsgefangene in einem Luxushotel untergebracht wurden, zwar eingesperrt und überwacht werden, aber dennoch im Luxus schwelgen. Das ist ja sogar historisch belegt. Offenbar ist man so besser an Informationen gekommen. Besonders gut hat mir übrigens 411 gefallen. Die fand ich echt taff. Aber ein ganzes Leben im Luxushotel zu verbringen, wäre nichts für mich.  Gegen einen kurzen Aufenthalt hätte ich nichts einzuwenden. Die Atmosphäre vom Grand Hotel Avalon fand ich toll beschrieben. 

Hasi: Ich habe vorhin noch überlegt, ob ich 411 erwähne: Die geheimnisvolle Modedesignerin, die ihr Zimmer nie verlässt. Coco Chanel hat doch auch über 30 Jahre im Hotel Ritz gewohnt - sie war bestimmt das Vorbild für 411. Wird deren Name eigentlich je genannt? Ich fand es schade, dass man nicht erfährt, warum sie sich in ihrem Zimmer versteckt und nie rauskommt. Selbst das Reinigungspersonal bekommt sie nie zu Gesicht, weil sie sich dann immer irgendwo einschließt. 
Im Gegensatz zu ihrem selbstgewählten Exil wurden die Diplomaten und ihre Familien ja zwangsweise ins Avalon gebracht. Trotzdem haben sie den Luxus (aus-)genutzt. Einige kamen schon sehr unfreundlich und unsympathisch rüber, Kriegsgegner hin oder her. Man kann ja trotzdem Mensch bleiben. 

Patno: Ich fand das gerade gut, dass sie so geheimnisvoll bleibt. So berühmt habe ich 411 nicht gesehen. Aber vielleicht… Hasi, wir sollten jetzt aufhören über das Buch zu reden. Unsere Leser wollen den Roman ja auch noch lesen. 

Unser Fazit: Ein ungewöhnlicher Roman, in dem fantastische Elemente mit zeitgeschichtlichen Fakten vor der luxuriösen Kulisse des Grand Hotel Avalon aufeinandertreffen. 

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