- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 16.11.2015
- Verlag : Blanvalet Taschenbuch Verlag
- ISBN: 9783734100321
- Flexibler Einband 704 Seiten
1916: Der erste Weltkrieg ist in vollem Gange, doch die Bewohner der Tuchvilla
hat hatten bisher Glück, denn Paul und seine Schwäger wurden noch nicht
eingezogen. Doch gerade als Marie das erste Mal niederkommt, muss auch er an
die Front.
Danach ändern sich die Zustände in der Villa und der Fabrik rasant. Benzin
und Lebensmittel werden immer knapper, selbst in der Tuchvilla wird „kreative
Kochkunst“ betrieben, aber wenigstens haben sie noch genug zu Essen. Bald gibt
es für die Fabrik keine Rohstoffe mehr, doch Johann Melzer, das
Familienoberhaupt, kann sich lange nicht durchringen, Pauls Pläne umzusetzen
und stattdessen Stoffe aus Papier zu weben. (Das es (bedruckte) Stoffe aus
Papier gab, wusste ich bis dato nicht, finde es aber extrem spannend. Sie
konnten nicht gewaschen werden (dann lösten sich auf), sondern wurden
ausgebürstet.)
Zudem lässt sich Johann lange bitten, bis die Frauen unter Elisabeths
Leitung endlich ein Lazarett in der Villa einrichten dürfen.
An dieser Stelle möchte ich auf das einzige Manko des Buches verweisen –
den Klappentext. Denn Marie leitet die Tuchvilla erst ziemlich am Ende des
Krieges / Buches und auch die erwähnte Kontroverse mit Ernst von Klippstein fällt
in diese Zeit.
„Die Töchter der Tuchvilla“ ist eine von mir sehnsüchtig erhoffte
Fortsetzung, die meine Erwartungen voll erfüllt hat.
Bereits der Einstig in das Buch ist sehr gut gelungen: die einzelnen
Familienmitglieder werden durch Maries Niederkunft (wieder) vorgestellt und die
Leser des ersten Bandes (Die Tuchvilla) erfahren, was in der Zwischenzeit
geschehen ist. Ich war sofort in dem Buch versunken und habe, sehr zum
Leidwesen meines Hundes, meine Umgebung kaum noch wahrgenommen.
Die Melzer-Frauen sind sehr verschiedene
Persönlichkeiten, die im Krieg förmlich über sich hinaus wachsen und sich
emanzipieren.
Marie hat das Talent und Verständnis ihres Vaters für die Konstruktion
von Maschinen geerbt, braucht aber lange, bis ihr Schwiegervater ihr zugesteht,
dieses auch im Sinne der Fabrik zu nutzen. Auf leise, zurückhaltende Art
schafft sie es langsam, sich bei ihm durchzusetzen. Ihre Ehe mit Paul ist
extrem liebevoll und harmonisch. Sie schreiben sich während des Krieges
hinreisende Liebesbriefe.
Elisabeth hat mit Klaus von Hagemann nicht unbedingt einen Glücksgriff
gemacht. Ihre Schwiegereltern sind extrem aufdringlich und nutzen sie schamlos
aus. Auch ihr Mann fordert in seinen Briefen von der Front immer nur Geld, zu
lieben scheint er sie nicht. Außerdem wird sie leider nicht schwanger und
neidet dieses Glück Marie und Kitty sehr. Aber sie ist ruhig und besonnen
genug, um sich mit der Situation abzufinden und stattdessen alle ihre Kraft in
das Lazarett und das Waisenhaus zu stecken. Trotzdem steht sie irgendwann vor
einer schwierigen Entscheidung.
Kitty ist in ihrer Ehe eigentlich glücklich und endlich angekommen. Doch
da meldet sich Gerard Duchamps, ihre erste große Liebe, wieder bei ihr und sie
muss eine Wahl treffen. So richtig gefestigt ist ihre Persönlichkeit immer noch
nicht. Kitty wirkt auf mich manisch: einerseits völlig überdreht und im
nächsten Augenblick depressiv. Sie verarbeitet das Kriegstrauma auf ihre eigene
Art und beginnt wieder zu malen. Ihre künstlerische Begabung hilft ihr letzten
Endes sich auszudrücken und auch ausgeglichener zu werden.
Der Leser erlebt den Krieg aus sehr vielen verschiedenen Perspektiven.
Da sind einerseits die Frauen in der Tuchvilla inkl. der weiblichen
Dienstboten, die den Krieg nur aus den Briefen ihrer Männer oder durch die zu
versorgenden Verletzten erleben. Schnell wird klar, dass alle völlig falsche
Vorstellungen davon hatten.
Besonders erschreckend fand ich den Bericht, dass es auch an der Front
kaum zu Essen, aber immer genügend Alkohol gab, damit die Männer (im Suff) ja
durchhalten. Denn auch sie haben Angst, versuchen z.B. wie Humbert, der
ehemalige Hausdiener der Melzers, zu fliehen und würden sich lieber erschießen
lassen, als an die Front zurückkehren zu müssen.
Auch die Arbeiterinnen der Fabrik sind unmittelbar vom Krieg betroffen. Bald
gibt es keinen Lohn mehr, später keine Arbeit. Ihre Streiks ändern die
Situation nicht. Zuerst verkaufen die Frauen ihre Haare, später ihren Körper um
etwas zu verdienen. Doch das wenige Geld reicht kaum zum Überleben, Kinder und
Alte verhungern.
Man
merkt beim Lesen, wie die Menschen trotz aller (Standes-)Unterschiede irgendwie
zusammen halten müssen. Sie besinnen sich auf die Stärken der Einzelnen, von
denen letzten Endes alle profitieren. Denn eines haben sie gemeinsam: die Sorge
um den Ausgang des Krieges und den Verbleib ihrer Angehörigen. Wenn die Post
wieder mal für Wochen ausbleibt und die Ungewissheit an den Nerven zerrt, der
Park der Villa in einen Gemüsegarten verwandelt wird, weil es nichts mehr zu
kaufen gibt, oder die Kinder der Melzers und der Dienstboten zusammen erzogen werden.
Ich finde es sehr gut, wie dieses Zusammengehörigkeitsgefühl im Buch
transportiert wurde.
Hoffentlich kommt bald der nächste Band, ich will doch wissen, ob Marie
und Paul die Fabrik retten können und was aus Klippstein wird. Gelingt Kitty der
Durchbruch als Künstlerin und geht das Arrangement in Pommern auf???
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