- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 12.02.2016
- Verlag : Aufbau TB
- ISBN: 9783746632056
- Flexibler Einband 229 Seiten
- Genre: Roman
Ich
liebe die Bücher von Thomas Brussig und in der Verfilmung von Sonnenallee
könnte ich mitspielen, weil ich sie so oft gesehen habe. Als Kind der DDR habe
ich viel von dem, was er beschreibt, selbst erlebt. Deshalb war ich auch neugierig
auf sein neues (altes) Buch „Wasserfarben“, dass bereits 1991 unter einem
Pseudonym ebenfalls im Aufbau Verlag veröffentlicht wurde.
Anton
ist im letzten Schuljahr auf der EOS (erweiterte Oberschule), die er mit dem
Abitur abschließen wird. Genau genommen geht es um den Zeitraum von November, als
er erfährt, dass er aufgrund seiner Westverwandtschaft den gewünschten Studienplatz
nicht bekommen wird, bis zur Zeugnisausgabe im Juni. Die Schulen waren
Kaderschmieden, alles bis ins kleinste Detail politisiert und durchgeplant, und
als Antons Traum nun platzt und er keinen neuen Plan entwickelt, bekommt er
echte Probleme. Schließlich war es eine Auszeichnung, auf eine EOS gehen zu
dürfen und die Plätze hart umkämpft. Dafür erwartete der Staat natürlich eine
Gegenleistung - bei den Jungs gerne eine mehrjährige Verpflichtung zur
Volksarmee. Und genau dem entzieht sich Anton. Er macht in der Schule nur das
Notwendigste, um die Prüfungen zu bestehen, mit Mädels läuft es auch nicht so
richtig und sein großer Bruder, sein Vorbild, ist (mental) zu weit entfernt, um
ihm zu helfen. Also muss Anton allein mit den großen Sinnfragen fertig werden.
Auch
in „Wasserfarben“ erkennt man sofort den „echten Brussig“. Es klingt wie ein
Vorläufer, in der Malerei würde man sagen eine Studie, zum „Kürzeren Ende der
Sonnenallee“ (in der übrigens auch der Protagonist wohnt). Antons Jugend ist
irgendwie verkorkst, er ist plötzlich ziellos, hat nicht viele Freunde, grenzt
sich immer mehr ab. Es wird für meinen Geschmack zu viel geschwafelt und bisweilen
etwas wirr diskutiert – eine Stelle erinnert stark an die Drogenszene aus
Sonnenallee. Die ersten Sinn- und Schaffenskrisen wirkten mir durch pseudointellektuelles
Gequatsche zu sehr polemisiert. Aber so ist man in der Jugend wahrscheinlich
wirklich, wir haben es nur schon erfolgreich verdrängt. Trotzdem hat mich das
Buch gut unterhalten, aber eben nicht durchgängig.
Für
wen ist das Buch? Gute Frage. Kennt jemand, der nicht aus der DDR stammt, die
Begriffe „EOS“, „StaBü“ oder „ABV“? (Hier wäre eine Erklärung am Ende des
Buches vielleicht ganz nützlich gewesen.) Kann er sich in diese Zeit überhaupt
hineinversetzen? Weiß er, wie sich die ständige Beeinflussung von oben anfühlt,
so indirekt sie auch gewesen sein mag?! All das gibt Thomas Brussig hier sehr
anschaulich wieder. Klar, auch wir fühlten uns jung und im Rahmen unserer
Grenzen frei, aber wir wussten auch, was von uns erwartet wurde. Ich denke, jemand
ohne diese Erfahrungen oder Vorkenntnisse wird das Buch nicht, oder zumindest
anders verstehen als ich – weil er sich in viele der hier geschilderte
Situationen einfach nicht hineinversetzen kann.
„Wasserfarben“
ist m.E. Brussigs sehr persönliche Abrechnung mit dem Schulsystem der DDR und
setzt ein gewisses Alter voraus. Es ist ein Buch für für echte Fans oder
solche, die sich (wieder mal?) mit diesem Thema beschäftigen möchten, nichts
für zwischendurch oder zum weglesen. Mich hat es aber sehr nachhaltig
beschäftigt und dazu gebracht, mich mal wieder mit meiner Herkunft auseinander zu
setzen - eine wirklich abgefahrene Zeitreise in meine Jugend.
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