Buchdetails
- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 30.01.2017
- Aktuelle Ausgabe : 30.01.2017
- Verlag : Hanser Berlin
- ISBN: 9783446254718
- Fester Einband 958 Seiten
- Genre: Roman
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Im Zwiespalt der Gefühle...
Soll ich dieses Buch lesen? Ja, lies es, es verändert Dein Leben!
Aber es sind 958 Seiten? Das schaffst Du schon, bist doch ein Vielleser!
Es soll sehr dramatisch sein? Du gehst doch gerne an Deine Grenzen.
Also gut, überredet, ich lese es!
Vier Männer, Malcom, Jean Baptiste (genannt JB), Willem und Jude verbindet seit Collegezeiten eine innige Freundschaft. Sie stammen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und jeder hat seine eigene, mehr oder weniger dramatische Vorgeschichte. Beruflich entwickeln sie sich in verschiedene Richtungen, Malcom wird Architekt, Willem Schauspieler, JB Künstler und Jude Jurist. Doch das Band der Freundschaft hält und der Leser begleitet ihren Lebensweg über mehrere Jahrzehnte.
Jude kristallisiert sich als zentrale Figur in der Gruppe heraus. Mehr und mehr wird klar, dass dieser liebenswürdige und hochintelligente Mensch ein schweres Seelenleid mit sich umherträgt. Immer tiefer versinkt Jude in seiner abgründigen Welt und reißt seine Freunde mit in diesen dunklen Strudel.
Noch nie fiel es mir so schwer, ein Buch zu bewerten, denn "Ein wenig Leben" hat mich in ein wahres Gefühlschaos gestürzt.
Mehr als einmal habe ich überlegt das Buch abzubrechen.
Gerade den Einstieg in das Buch empfand ich extrem anstrengend. Die Autorin schreibt detailverliebt, ausschweifend und überfrachtet. Akribisch geht sie dabei zunächst auf die einzelnen Charaktere der Geschichte ein und beschreibt deren Wohnumfeld. Spannend ist definitiv etwas anderes.
Ich will nicht mehr, bin genervt, das Buch ist ermüdend! Nein, Du musst weiterlesen, denn nur so kannst Du empfinden, was die Charaktere durchleben!
Langsam merkte ich, dass zwischen den Seiten eine gewisse Faszination lag und endlich fesselte auch mich die Handlung, in der Frauen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Es ist schon beeindruckend, dass die Autorin vorwiegend Männer in ihrer Geschichte inszeniert, denn, wer weiß schon als Frau, was Männer wirklich fühlen und denken. Ich empfand einige ihrer Charaktere sehr weiblich dargestellt, was vermutlich aber so beabsichtigt war. Da fallen oft Sätze wie : "Verzeih mir!" oder "Ich liebe Dich!".
Das brachte mich zwangsläufig auch zu der Frage, ob diese Männer sich sexuell zueinander hingezogen fühlen, was selbstverständlich im Laufe der Geschichte ausgiebig und interessant erörtert wird.
Hanya Yanagihara überzeugt durch einen einzigartigen Schreibstil, den man nicht als angenehm flüssig bezeichnen kann. Sie schreibt sehr anspruchsvoll-anstrengend, aber auch sehr komplex und intelligent. Kaum ein Sachgebiet bleibt außen vor. So bekommt der Leser neben einem Jura-,Mathematik-, Psychologie- und Medizinkurs, auch noch Schauspielunterricht.
Die Recherchearbeit zu diesem Buch muss ein enormer Aufwand gewesen sein.
Dramatisch spitzt sich die Handlung in der zweiten Hälfte des Buches zu, denn hier werden Judes dunkle Vergangenheit und deren Folgen für sein Leben ausgiebig erörtert.
Jude ist innerlich so kaputt, dass er kaum zwischen Wahn und Realität unterscheiden kann. Da er nicht in der Lage ist, über seine Erlebnisse zu reden, sucht Jude einen Ausweg in der Selbstverstümmelung. Dabei findet er immer neuere, makabere Methoden, von denen man als Leser irgendwann glaubt, sie nicht mehr ertragen zu können. Da gab es Szenen, die mich zeitweise an meine Belastungsgrenze trieben. Zum Teil verfolgten sie mich sogar in meinen Träumen.
Das Buch hatte mich so gepackt, dass ich beinahe zwanghaft weiterlesen musste. Ständig fragte ich mich, was denn jetzt noch kommen kann und ob mich die Autorin nicht langsam erlösen könnte.
Doch genau an diesem Punkt setzte sie mit einer ungeahnten Wendung noch einen obendrauf, die ich, wie auch die letzten Seiten des Buches, tränenreich aufgenommen habe. Endlich hatte es ein Ende!
Mit zwiespältigen Gefühlen und Gedanken bleibe ich zurück.
Ich habe "Ein wenig Leben" gehasst und geliebt, fühlte mich von der Handlung gleichermaßen angezogen wie abgestoßen.
Soll ich das Buch weiterempfehlen oder eher vom Lesen abraten?
Eines kann ich mit Sicherheit sagen, dieser Roman ist selbst für "Vielleser" eine echte Herausforderung, sowohl von der Schreibweise, als auch hinsichtlich der Emotionalität.
Es ist zweifellos ein herausragendes Werk, dass mir lange in Erinnerung bleiben wird.
Ein Leseerlebnis, aber kein Lesevergnügen!
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