- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 14.07.2017
- Verlag : Aufbau TB
- ISBN: 9783746632940
- Flexibler Einband 304 Seiten
- Genre: Historischer Roman
Der diskrete Charme der
Bourgeoisie
„Wenn man alles verloren hat, dann
kann man gefahrlos alles riskieren.“ (S. 177) – dieses Zitat passt
perfekt zu Fritzis Neuanfang in Berlin 1925.
Sie stammt aus der
schwäbischen Provinz, ihr Verlobter hat sie verlassen und ihr Vater ist vor
kurzem verstorben. Fritzi ist nichts geblieben außer ihrer
Reiseschreibmaschine, einer fundierten Ausbildung als Tippfräulein und dem
Traum, Drehbücher zu schreiben. Ihren Unterhalt allerdings will sie sich mit
dem Schreiben der Memoiren des Grafen Hans von Keller verdienen. Doch der kann
sie kaum bezahlen und hat aus seinen Anwesen eine Künstlerkolonie gemacht, aber
er ist auch sehr süß.
Fritzi landet in einem
wahren Sündenpfuhl – nach Ansicht ihrer schwäbischen Verwandtschaft. In Kellers
heruntergekommener Villa leben Dichter, Maler, Sänger, Musiker – verkrachte
Existenzen eben. Und sie alle wohnen kostenlos hier, denn kaum einer verdient
bei der Erfüllung seines Traumes genügend Geld, nicht mal der Graf, der
Zeitungskolumnen schreiben muss, um zu überleben.
Berlin beeindruckt Fritzi – es
ist groß, modern, schnelllebig. Eine Stadt der Emporkömmlinge und
Selbstdarsteller, denn hinter den Kulissen ist kaum jemand so, wie er scheint.
Inge, Ihre Vorgängerin beim
Grafen, wirkt auf sie geradezu mondän. Sie arbeitet als Vorführfräulein im
KaDeWe, immer en Mode. Insgeheim jedoch hofft sie auf den großen Durchbruch
beim Film, eine Hauptrolle.
Man trifft sich abends im
Café unter den Linden, um zu feiern und sich aushalten zu lassen, trinkt Champagner,
raucht und tanzt Charleston. Und man lauscht dem Jazz-Sänger Jonny Gable (das
ist natürlich nur ein Künstlername). Gable wohnt auch im Haus des Grafen. Er
ist wunderschön, aber eiskalt, man sagt ihm Affären mit diversen Frauen und
Männern nach. Doch dann scheint er sich ausgerechnet in die Landpflanze Fritzi
zu vergucken. Die muss sich bald entscheiden, was und wen sie wirklich will. „Mit
der Liebe ist es wie mit der Kunst, wenn man es halbherzig macht, dann sollte
man es besser lassen.“ (S. 162)
Die Bewohner der Keller’chen
Villa sind skurril und liebenswert. Sei es das schwule Pärchen Rosa und Wlad,
der barfüßiger Maler oder die fette Bildhauerin, welche die Leute mit dem
Nudelholz aus der Küche jagt. Und über allem liegt der diskrete Charme der
Bourgeoisie. Ein persönliches Drama jagt das nächste, auf der Terrasse werden
nächtliche Partys gefeiert – man lebt schließlich nur einmal.
Ich habe Joan Wengs Buch an
nur einem Sonntagnachmittag verschlungen und mich nach den goldenen 20ern in
Berlin gesehnt. Ich habe mit Fritzi gelebt, geliebt, geweint und gelacht. Das
Buch ist unglaublich farbenfroh, sinnlich und abwechslungsreich. Es zeigt
Berlin in seiner Blütezeit und das damalige Lebensgefühl sehr anschaulich und der
verwendete damalige Slang macht es extrem lebendig.
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