- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 14.07.2017
- Verlag : Aufbau TB
- ISBN: 9783746633169
- Flexibler Einband 512 Seiten
- Genre: Historischer Roman
Aschenputtel in Paris
„Es geht um mich – mein Leben.
Meine ... meine ... Unabhängigkeit. Ich will tanzen.“ (S. 268)
Paris 1928: Lucia wird in
der Paris Times gelobt, sie ist der kommende Star am Modern Dance Himmel und
ihr Vater ist stolz auf sie. Aber kann er, der berühmte James Joyce, Verfasser
von Ulysses, dulden, dass sie aus seinem Schatten tritt? Dass sie ihr eigenes
Leben lebt und nicht nur sein Laufbursche, seine Vorleserin (er ist fast blind)
und Vortänzerin ist? Denn für ihn darf sie natürlich weitertanzen, schließlich
ist sie seine Anima („Personifikationen einer weiblichen Natur im Unbewussten
des Mannes“ - nach Carl Gustav Jung). Er braucht sie wie die Luft zum Atmen.
Sie ist seine Muse, wird auf jeder Seite des neuen Buches stehen ... Das muss
sie sich natürlich „verdienen“.
Annabell Abbs zeigt in „Die
Tänzerin von Paris“ das schreckliche und sehr bewegende Schicksal von Lucia Joyce auf. Ihr Vater vergöttert sie geradezu, scheint auf jeden anderen Mann
eifersüchtig zu sein, ihre Mutter hasst sie aus dem gleichen Grund. Ihren
Bruder, mit dem sie in der Kindheit unzertrennlich war, interessiert nur, dass
sie – wenn sie schon heiraten muss – wenigstens einen reichen Mann nimmt. Und er
ist sauer, als sie einen entsprechenden Antrag ablehnt: „Denk nur, wie die Familie
Fernandez Vater helfen könnte! Èmiles Familie könnte uns allen auf so vielerlei
Weise helfen.“ (S. 102) Lucia steht immer an letzter Stelle, hat sich
dem Wohl der Familie unterzuordnen.
James scheint kein leichter
Charakter gewesen zu sein, er verlangte unbedingte Bewunderung. Seine Frau Nora
interessierte vor allem ihr Aus- und ihr Ansehen – schließlich war ihr Mann
berühmt. Lucia nimmt die Stelle des Aschenputtels der Familie ein. Da ihre
Eltern streng katholisch waren, kam ein Auszug auch mit Mitte 20 nur in Frage,
wenn sie zu ihrem Ehemann zog – kein Wunder also, dass sie sich in
Wunschvorstellungen bzw. Phantasie-Ehen mit z.B. James Beckett flüchtet,
welcher für ihren Vater arbeitet. „Ich will mein eigenes Leben. Ich will
unabhängiger werden.“ (S. 83)
Als diese Seifenblase
platzt, bricht Lucia zusammen. Später wird sie auch noch von Alexander Calder und
Alex Ponisowski verlassen – sie verfällt, nach Ansicht ihres Bruders, dem
Wahnsinn. Seine Lösung dafür ist die Unterbringung in einer Anstalt.
Küsnacht 1934: Seit ihrem
Zusammenbruch ist Lucia bei diversen Psychologen in Behandlung gewesen, C. G.
Jung ist bereits der 20.! Lucia hat sich in sich zurückgezogen, redet nicht, interessiert
sich nur noch dafür, wann sie endlich wieder frei ist. „Das Tanzen erlaubte mir, ohne Worte zu sprechen. ... es war mein
Rettungsring.“ (S. 409) Jung will ihr helfen, vermutet die Ursache ihrer
Probleme in der Kindheit und dringt auch zu ihr durch. Doch als sie sich an das
Geschehen aus ihrer Kindheit erinnert, welches sie so lange vor sich selbst
verleugnet hat, verliert sie endgültig den Verstand. „War mein Vater wirklich ein
perverser Irrer?“ (S. 11)
Das Buch ist sehr fesselnd
geschrieben. Mir gefiel, wie der Flair dieser Zeit, die diversen Künstler und
die Kunstszene im Allgemeinen in die Handlung integriert wurde. Dadurch ist es
sehr anschaulich und lebendig.
Am Anfang hab ich Lucia noch
für eine etwas überspitzte, extrovertierte und egozentrische Persönlichkeit
gehalten und gedacht, dass sie sich vieles selbst zuzuschreiben hatte. Aber je
tiefer Dr. Jung (und der Leser) in ihre Vergangenheit eindringt, desto
bemitleidenswerter wurde sie.
Lucias Geschichte hat mich
sehr bewegt. Es war erschreckend mit zu verfolgen, wie aus einer lebendigen
talentierten jungen Frau nach und nach ein psychisches Wrack wird.
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