- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 13.10.2017
- Verlag : dtv Verlagsgesellschaft
- ISBN: 9783423261708
- Flexibler Einband 368 Seiten
- Genre: Historischer Krimi
Special zum Buch inkl. Videos etc
Eine Frage der Moral
„Hier gab es kein Leben mehr, nur Hunger und bittere Erstarrung. Und
bis zum Schluss kämpften die Menschen und bekriegten sich um die letzten
Ressourcen.“ (S. 137)
Der Winter hat Dresden 1947 fest im Griff. Nachts herrschen Temperaturen um
die -25°C und auch tagsüber wird es nicht viel wärmer. Die Stadt ist immer noch
eine Trümmerlandschaft.
Kriminaloberkommissar Heller wird zur Leiche eines russischen Offiziers
gerufen. Am Tatort fällt ihm ein junges Mädchen auf, das einen herrenlosen
Rucksack stehlen will. Heller kann ihr den Rucksack abnehmen – und findet darin
einen abgetrennter Kopf. Offiziell darf Heller nur wegen des Kopfes ermitteln,
das macht ihm sein alter Spezi Medvedev, der Leiter der SMAD (Sowjetische
Militäradministration in Deutschland), sofort klar. Aber er füttert ihn auch
mit Informationen – vor 2 Tagen wurde schon ein toter russischer Offizier
gefunden. Hängen die 3 Todesfälle irgendwie zusammen und wem gehörte der Kopf
zu Lebzeiten eigentlich? Auch Ovtscharov vom Ministerium für Innere
Angelegenheiten rät Heller dringend davon ab, im Fall der getöteten Offiziere
zu ermitteln. Und er steckt Heller „Pajok“ (Päckchen) zu, darin Lebensmittel
wie Kaffee, Zucker und Fleisch. Pajok bekommen sonst nur Mitglieder der SED. Will
er Heller bestechen? Die Pakete bringen ihn in echte Gewissensnöte. Eigentlich
müsste er sie ablehnen, aber er weiß auch, dass sich seine Frau Karin für ihn
Essen vom Mund abspart.
Schon mit „Der Angstmann“ hatte mich Frank Goldammer gepackt. Die Atmosphäre
der Max-Heller-Krimis ist unbeschreiblich: fesselnd, grausam, ehrlich,
politisch. Im ersten Band ging es um die Bombennacht 1945, bei der bis zu
25.000 Menschen starben. Jetzt erlebt Heller die russische Besatzungszeit.
Während „die Russen“ sogar Delikatessen und echten Kaffee haben, ernähren sich
die Einwohner von Mehlsuppen – wenn überhaupt. Und sie frieren eigentlich
ständig, denn alles was irgendwie brennbar ist, wurde längst verfeuert.
Heller ist ein rechtschaffener und geradliniger Mensch. Er war nie in einer
Partei und will auch jetzt nicht in die SED eintreten, nur um Vergünstigungen
zu bekommen oder in der Hierarchie aufzusteigen. Ihn stört, dass ehemalige
NSDAP-Mitglieder wie Staatsanwalt Speidel immer noch auf ihren Posten sitzen,
weil sie in der SED sind. Aber die Besatzer brauchen fähige Leute.
Besonders nahe geht Heller (und mir) das Schicksal der Kriegswaisen, die
durch die Stadt streifen, immer auf der Suche nach etwas Essbarem. Oft sind sie
noch so klein, dass sie sich weder an ihre Namen noch an ihre Eltern erinnern
können. Natürlich stehlen sie auch, verkaufen ihre Körper oder machen noch
Schlimmeres. Heller will ihnen helfen und gleichzeitig die Morde aufklären.
Aber gegenüber den „Befreiern“ ist er machtlos, wird zum Spielball der verschiedenen
russischen Behörden.
Für mich als Dresdnerin hat dieser Krimi einen ganz besonderen Reiz,
schließlich kenne ich die Handlungsorte genau. Die Bautzner Straße, die Heller
in diesem Hungerwinter so oft zu Fuß bewältigen muss, befahre ich immer auf dem
Weg nach Pillnitz, im Prießnitzgrund bin ich oft mit meinem Hund unterwegs und
die Neustadt ist das Szene-Viertel in Dresden.
Ab einem gewissen Punkt konnte ich „Tausend Teufel" nicht mehr aus der
Hand legen. Ich musste wissen, wie es ausgeht und Schlafen wird manchmal echt
überbewertet. Die Ereignisse überschlugen sich und trotzdem blieb am Ende die
Frage offen: „Wer ist wirklich Schuld? Wer Täter, wer Opfer?“ Denn das ist
immer auch eine Frage der Moral – ein echtes Gänsehaut-Buch!
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