- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 13.03.2018
- Verlag : ROWOHLT Wunderlich
- ISBN: 9783805200219
- Fester Einband 432 Seiten
- Genre: Roman
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir vom Verlag ein kostenloses Leseexemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung!
Verloren und wiedergefunden
„...ich dachte immer, wir wären eine
glückliche Familie, stattdessen gibt es lauter Geheimnisse.“ (S. 299)
Theresa versteht die Welt
nicht mehr, als sie ein Haus von ihrer Schwester Marlene erbt, die angeblich
schon 1971, vor Theresas Geburt, bei einem Segelunfall ums Leben kam. Ihre
ältere Schwester Charlotte ist genau so überrascht wie sie. Und dann macht auch
noch ihre Mutter Elisabeth, die an Demenz erkrankt im Heim lebt, eine sehr
überraschende Aussage: „Schweig. ... Marlene hat schon immer Ärger
gemacht. Dem mussten wir einen Riegel vorschieben, sonst wäre die Familie
zerbrochen.“ (S. 19).
Anja Baumheier erzählt in
ihrem sehr bedrückenden Debüt die Geschichte der Familie Groen über 80 Jahre,
die sehr eng mit der Historie der DDR verbunden ist.
1946 landet Johannes nach
seiner Flucht aus Schlesien allein in Rostock. Er ist 18 Jahre alt und hat
keine Familie mehr. In der Umsiedlervermittlung lernt er Elisabeth, seine
spätere Frau kennen, im Barackenlager den Russen Kolja. Kolja wirbt ihn für die
FDJ an, wird, obwohl nur wenig älter, eine Art Ersatzvater und ihn fast sein
ganzes Leben begleiten, protegieren und auch immer wieder auch für seine Zwecke
einspannen.
Nach der Hochzeit denkt
Johannes, er hat es geschafft, alles erreicht, was er immer wollte – eine
eigene Familie, ein Zuhause, eine Arbeit bei der Kripo, die ihm Spaß macht. Er
kann das neue Land DDR nach seinen Wünschen und Vorstellungen mitgestalten.
Doch Kolja, sein Chef, will mehr, höher hinaus, und wirbt ihn 1953 für die
Staatssicherheit an. Zum ersten Mal ignoriert Johannes Elisabeths Wünsche und
sie ziehen nach Berlin. Dort hat er noch weniger Zeit für die Familie, sie entgleitet
ihm immer mehr. Charlotte, die erstgeborene Tochter, geht wie ihr Vater im
Sozialismus voll auf, aber Marlene, die zweitgeborene, kann sich nicht
unterordnen. Sie hat ihren eigenen Kopf, sieht die Fehler im System DDR und
begehrt dagegen auf. Die Situation eskaliert, als Marlene mit ihrem Freund in
den Westen fliehen will ...
Ich bin, wie die Autorin, in
Dresden geboren und aufgewachsen. Es ist ihr es gelungen, ein erschreckend
authentisches und reales Bild der DDR zu dieser Zeit zu zeichnen. Ich kann mich
an den Druck in der Schule, immer ja das Richtige tun und sagen zu müssen, gut
erinnern. Nicht wenige Passagen haben mir Schauer über den Rücken gejagt.
Anja Baumheier erzählt
schonungslos, wie die Familie und die DDR langsam zerbrechen, während Freunden
und Kollegen weiter „heile Welt“ vorgespielt wird. Für Johannes kommt zuerst
seine Arbeit, sein Land. Elisabeth muss immer mehr zurückstecken und verliebt
sich in einen anderen Mann, aber sie entscheidet sich für Johannes und bleibt,
auch wenn sie seine politischen Ansichten schon lange nicht mehr teilt. Das
böse Erwachen kommt mit dem Fluchtversuch von Marlene. Theresa ist der Kitt für
die zerrüttete Ehe, erfährt durch die Erbschaft davon und fällt ins Bodenlose.
„Kranichland“ ist für die
Mitglieder der Familie Groen ein Land der Freiheit und Sehnsüchte – für die
einen verkörpert dies die DDR, für die anderen die BRD.
Das Buch ist keine typische
Familiensaga, nichts für schwache Nerven. Dazu ist es zu brutal, zu ehrlich, zu
nah an der Realität. Obwohl ich relativ früh Vermutungen hatte, wie die
Verhältnisse der Protagonisten untereinander waren, blieb es bis zuletzt
spannend. Ich hatte großes Mitleid mit den Groen-Schwestern und ihrem
unglaublichen Schicksal. Aber so war es damals eben auch ...
Ich kann mir vorstellen, dass
das Buch seine Leser sehr polarisieren wird. 5 Sterne und meine unbedingte
Leseempfehlung für dieses außergewöhnliche Buch #gegendasvergessen.
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