ISBN : 9783746634999
Flexibler Einband : 488 Seiten
Verlag : Aufbau TB
Erscheinungsdatum : 14.06.2019
Genre : Historischer Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab
Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung
gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende
Meinung.
Ich will leben
„Ich möchte tot sein, das alles
nicht erleben, und gleichzeitig möchte ich natürlich leben ..., aber nicht so.“
(S. 41)
Ruths Familie hat die
Pogromnacht überlebt, auch dank der Hilfe ihrer arischen Freunde. Aber ihr Haus
ist zerstört und aufgrund eines neuen Gesetzes müssen sie es reparieren um es
dann weit unter Wert zu verkaufen. Sie ziehen zu Freunden, die in wenigen
Wochen emigrieren und deren Wohnung sie übernehmen können. Die systematische
Vertreibung und Vernichtung der Juden hat begonnen – nur wollen diese das nicht
wahrhaben. „Was soll den nur aus uns, aus diesem Land werden?“ (S. 31) Vor
allem die Älteren (wollen) glauben, dass der 9. November nur ein Ausrutscher,
eine einmalige Aktion war. Es sind die jungen Leute, die ihre Zukunft verlieren
und jetzt so schnell wie möglich weg wollen. Denen ihr freies, selbstbestimmtes
Leben lieber ist als ihre Heimat.
Ulrike Renk hat es geschafft,
mit nur wenigen Sätzen sofort wieder die angstvolle Atmosphäre zu erschaffen
und nahtlos an den ersten Band der Saga „Jahre aus Seide“ anzuschließen. Wieder
steht Ruth im Vordergrund – schließlich ist es ihre Geschichte, die erzählt
wird. Ausgehend von Tagebüchern, Briefen, Fotos und Zeitzeugenberichten, spinnt
Ulrike Renk um deren Erlebnisse eine extrem fesselnde und aufwühlende
Geschichte.
Ruths Mutter ist schon immer
sehr gefühlsbetont, wahrscheinlich depressiv. Die Ereignisse vom November kann
sie nicht verarbeiten. Sie verkriecht sich in ihrem Schmerz und erleidet einen
Nervenzusammenbruch. Ruth muss auf einen Schlag erwachsen werden und sie
vertreten. Sie versucht Zuversicht zu verbreiten, egal wie es in ihr aussieht.
Im Geheimen aber verfolgt sie eigene Pläne. In England werden Haushalthilfen
gesucht – wäre das eine Chance für sie, die Familie zu retten? „...
eine Tür nach der anderen schließt sich. Von außen kann man sie vielleicht
leichter öffnen.“ (S. 232)
Ich finde es faszinierend,
wie lebendig die Autorin den damaligen Alltag schildert. Es sind oft nur Kleinigkeiten,
die dem Leser klarmachen, was Überleben damals wirklich bedeutete, welchen
Einschränkungen die Juden ausgesetzt waren. Die dauernden Veränderungen, die
immer währende Angst. „Sie sind Monster. Ganz schreckliche Monster,
und sie beherrschen unser Land und machen alles kaputt.“ (S. 25)
Die Betroffenen trauen nur
noch ihren Familien und ein paar ausgewählten Freunden, rücken noch näher
zusammen und sind aufeinander angewiesen. Die Kinder werden ganz schnell
erwachsen und nehmen die Stellen ihre Eltern ein, wenn diese nicht mehr wollen
oder können. Sie sind stark und optimistisch, wo die Erwachsenen schwach und
ängstlich sind. Sie wollen eine Zukunft, sie wollen leben, auch wenn sie
Deutschland dafür verlassen müssen – zur Not auch ohne ihre Familien. Und doch
betonen sie immer wieder, dass sie sich in erster Linie als Deutsche und dann
erst als Juden fühlen (da sie genau wie ihre Eltern nicht gläubig sind).
Am beeindruckendsten aber waren
die „arischen“ Deutschen, in diesem Fall die ehemalige Chauffeurs-Familie Aretz,
welche die Juden zum Teil ganz offen oder auch im Geheimen unterstützt haben,
und dabei ihrer Angst vor Entdeckung und Strafe trotzen.
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