Freitag, 20. September 2019

Vergesst unsere Namen nicht

Buchdetails:

Erscheinungsdatum: 30.08.2019

Fester Einband: 352 Seiten

Verlag: Eichborn

ISBN: 9783847906667

Genre: Roman







„In einer jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zweimal stirbt. Das erste Mal, wenn sein Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig, hundert oder vierhundert Jahre später.“ Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen. ( S. 6)

Es ist die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte der Familie Komissar, die Simon Stranger in „Vergesst unsere Namen nicht“ erzählt und mit seinen Fiktionen ergänzt. Das Buch ist am 30.08.2019 beim Eichborn Verlag erschienen.
Ich habe schon viele Bücher über den Holocaust gelesen. Doch erstmals lese ich von den dramatischen Ereignissen während der Besetzung Norwegens durch die Deutschen.

In der Stadt Trondheim erinnert ein Stolperstein an den Juden Hirsch Komissar, der am 07.10.1942 von den Nazis erschossen wurde.
Durch ihn inspiriert, beginnt der Buchautor mit seiner Recherche.
Es entsteht ein Roman, der nicht nur den Lebens- bzw. Leidensweg des Opfers - Hirsch Komissar aufzeichnet , sondern auch den des Täters - eines gewissen Henry Oliver Rinnan in Szene setzt. Interessante Konstellation.
Als Leser hat mich die Rinnan Geschichte schockiert.
Ich lerne einen Jungen kennen, der sich nach Freunden und vor allem nach Anerkennung und Liebe sehnt, die er leider erst im späteren Leben findet. Es sind die falschen Menschen. Sie manipulieren ihn und spannen ihn für ihre Zwecke ein. Endlich wird Rinnan wahrgenommen. Es ist die Geburtsstunde der Rinnan-Bande. Er wächst über sich hinaus, wird zum Scheusal, ein unheimlicher Täter, der seine Opfer gnadenlos ans Messer liefert.
Dann sehe ich den sympathischen Hirsch Komissar, einen Familienvater, der liebt und niemandem etwas Böses will. Er berührt mein Herz und ich leide mit der Familie, als Hirsch verhaftet, bzw. ermordet wird.
In einer dritten Handlungsebene, die nach dem Krieg spielt, werden die Hirschs Nachkommen erneut mit seiner Geschichte konfrontiert, denn sie wohnen in den einstigen Rinnan-Haus.

Simon Stranger hat einen außergewöhnlichen Roman geschaffen.
Das wird bereits bei der Einteilung der Kapitel deutlich. Üblicherweise nummerieren Autoren ihre Kapitel durch.
Stranger alphabetisiert sie. Vergleichbares habe ich bisher noch nicht gelesen. So beginnt der Roman mit A wie Anklage und endet bei Z wie die Form der brennenden Wunde auf dem Rücken eines Gefangenen. Originelle Idee!
Auch beim Schreibstil weicht der Buchautor von der Norm ab. Er wechselt die Erzählformen und wagt sich dabei in einem Handlungsstrang an die Du-Perspektive.
Obwohl Stranger über dramatische Ereignisse berichtet, schreibt er sachbuchartig nüchtern. Er schmückt nichts aus, dramatisiert nicht. Trotzdem erschüttert mich sein Roman zutiefst.
Ich habe mich schwer getan in die Geschichte zu finden, zumal die Ereignisse auch zeitlich schwer einzuordnen waren. Abschnittsweise wechselt der Autor von einem Erzählstrang in den nächsten, was anfänglich verwirrend auf mich wirkte. Ich fühle mich beim Lesen hin und hergerissen. Einige Passagen wirken langatmig. Besonders mit dem dritten Handlungsstrang um Hirschs Nachkommen - Ellen und Gerson- habe ich gehadert. Erst nach etwa der Hälfte des Buches bin ich mittendrin. Die Beschreibungen im Kapitel M sind kaum zu ertragen. Der letzte Abschnitt des Romans rührt mich zu Tränen.

Ein bewegender Roman gegen das Vergessen, bemerkenswert inszeniert!

2 Kommentare:

Buchbahnhof hat gesagt…

Guten Morgen,
Danke fürs vorstellen dieses Romans! Bisher ist er mir ehrlich gesagt nicht über den Weg gelaufen, aber jetzt kommt er auf meine Liste. Ob ich ihn wirklich lese bin ich noch nicht ganz sicher, da mich deine Kritik zur Nachvollziehbarkeit der zeitlichen Einordnung etwas abschreckt. Mich verwirrt sowas auch immer sehr und ist auch ein Abbruchgrund. Aber erstmal merke ich mir das Buch auf jeden Fall.
Hab einen schönen Sonntag
LG
Yvonne

Connies Schreibblogg hat gesagt…

Hallo liebe*r "nicht ohne Buch",
ich war auch sehr bewegt von dem Roman! Aber ich finde es wichtig, dass dieser Roman gelesen wird. Deswegen habe ich meine Rezension auf Schreibblogg.de mit der Rezension verlinkt. Liebe Grüße Connie Ruoff Schreibblogg.de