ISBN : 9783463407227
Fester Einband : 576 Seiten
Verlag : ROWOHLT Kindler
Erscheinungsdatum : 10.03.2020
Genre : Historischer Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Utopia
1925 gründen 4
sehr engagierte Lehrerehepaare auf Juist „Die Schule am Meer“ – eine Reformschule,
in der die Schüler mitreden dürfen, nicht mehr geschlagen oder missbraucht und
Jungen und Mädchen zusammen unterrichtet werden. „Hier auf Juist konnten
sie eine neue Welt erschaffen. Konnten ihre gemeinsame Version einer Schule
ohne Angst verwirklichen.“ (S. 24) Sie kaufen ein altes, heruntergekommenes
Anwesen und bauen dieses zusammen mit den Schülern aus beziehungsweise erweitern
es immer wieder. Das Geld dazu stammt von Schulgeldern, Spenden und dem, was
die Schüler z.B. in den Ferien auf Konzert- oder Theaterreisen verdienen. Kameradschaft
und Zusammenhalt werden großgeschrieben, man duzt sich untereinander – auch die
Schüler ihre Lehrer.
Zudem werden
nicht nur der Geist, sondern auch der Körper gestählt, das morgendliche Bad in
der eiskalten Nordsee gehört genauso dazu wie Gymnastik und Ausdauerläufe. Man
formt den Menschen als Ganzes.
Aber Juist ist
klein und die Schule hat nicht nur Befürworter, sondern auch Gegner, die nationalsozialistisches
Gedankengut auf der Insel verbreiten und Stimmung gegen die Reformisten machen.
Vor allem, dass ca. 1/3 der Lehrer und Schüler Juden sind oder Kommunisten
sind, ist ihnen ein Dorn im Auge.
Die Autorin Sandra
Lüpkes stammt von Juist, kennt die Geschichte der Schule von Kindheit an und erzählt
sie aus drei Perspektiven.
Da ist zum
einen Anni Reiner, die aus einem reichen, jüdischen Elternhaus stammt und zusammen
mit ihrem Mann Paul (einem Arier) zu den Gründern gehört. Anni ist nicht nur Lehrerin,
sondern steckt von Beginn an immer wieder die ihr jährlich zustehenden
Dividenden aus dem Familienvermögen in die Schule, die auch ihre 3 Töchter
besuchen. Sie hat ihr Leben als behütete Industriellentochter für Paul und
ihren gemeinsamen Traum aufgegeben und bereut es fast nie. Schwer wird es für
die erst, als die Schule 5 Jahre nach der Gründung zu einer Bildungsmaschinerie
geworden, die ihre ganze Kraft und Zeit raubt, und Paul die Belange der Schule
bzw. Schüler vor die seiner Familie stellt.
Eine weitere Sicht
auf die Geschehnisse bietet Eduard Zuckmayer. Er ist Dirigent bzw.
Konzertmeister und auf der Insel im Urlaub, als er die Schule entdeckt. Das
Konzept gefällt ihm so gut, dass er als Musiklehrer bleibt. Er möchte – wie seine
Mitstreiter – eine Aufgabe, die ihn erfüllt und seinem Gegenüber, in dem Fall
den Schülern, etwas bringt, anstatt Karriere zu machen.
Moskito steht
für die Schüler aus aller Herren Länder. Seine Familie lebt seit 10 Jahren in
Bolivien. Dass sie ihn jetzt so weit weg nach Föhr in die Schule schickt,
gefällt ihm zu Beginn nicht, doch er findet schnell Freunde.
Die Schule erscheint
wie ein ganz eigener Kosmos am Ende der Welt, Informationen von außen kommen oft
erst verspätet an. Eine kleine heile Welt, während es „draußen“ immer ungemütlicher
wird und die Nazis an die Macht kommen. Irgendwann hat das „Draußen“ trotzdem Auswirkungen
auf die Schüler und Lehrer und die Ausrichtung der Lehrpläne, zumal der der
Direktor alles macht, damit die Schule nicht verboten wird.
Das Konzept der
Reformschule hat mir sehr gut gefallen, die idealistischen Vorstellungen von
der großen Gemeinschaft, dass Freud und Leid immer geteilt werden. Nachteilig
war, dass es kaum einen Rückzugsort gab und sie von der Natur anhängig waren.
Der Roman ist im
wahrsten Sinne des Wortes schwere Kost – 576 Seiten dick und knapp 700 g
schwer. In meinen Augen ist es kein Schmöker für leichte Lesestunden, dazu ist
die Handlung zu komplex und umfangreich, das Thema zu schwer.
Ich würde das
Buch als biografischen Roman bezeichnen, denn die Lehrer gab es wirklich, die
Schüler sind fiktiv, orientieren sich aber auch an damals dort lebenden
Kindern.
Sandra Lüpkes
hat einen sehr eindrucksvollen Roman geschaffen, der mir zum Ende hin echte
Gänsehaut beschert hat.
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