Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Geld oder Liebe
„Paris hatte mehr Charme, mehr Klasse und Eleganz … Das Ullstein-Haus allerdings stand in Berlin, und so etwas gab es sonst nirgendwo.“ (S. 8)
Ich muss zu gestehen, dass mir gar nicht bewusst war, dass der Ullstein Verlag früher ein jüdisches Familienunternehmen war. Beate Rygiert erzählt in ihrem Roman „Die Ullsteinfrauen und das Haus der Bücher“ von den goldenen Zwanzigern in Berlin und von drei Frauen, die zu dieser Zeit eng mit dem Verlag verbunden sind. Vicky Baum ist ihre Vorzeigereporterin und schreibt sowohl für verschiedenen Zeitschriften und Journale des Hauses, als auch Bücher, die im Buchverlag erscheinen. Ihre Freundin Rosalie Gräfenberg ist freie Journalisten, die u.a. Reportagen für Ullstein schreibt, aber auch Interviews mit berühmten (politischen) Persönlichkeiten. Die dritte im Bunde ist Vickys Sekretärin Lily Blume, genannt Blümchen, die ihrer Chefin nacheifern will und große Ambitionen hat – sich aber noch nicht traut ... So unterschiedlich die drei Frauen auch sind, eint sie doch das Streben nach beruflichem Erfolg, Anerkennung – und der Liebe.
Vicky und ihr Mann, der berühmte Dirigent Richard Lert, führen eine Fernbeziehung, die Kinder leben bei ihm. Obwohl er regelmäßig fremdgeht, will sie sich nicht scheiden lassen – sie liebt ihn noch und er lässt ihr ja auch ihre Amüsements.
Rosalie ist geschieden und liebt ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Sie reist durch die ganze Welt und bildet sich von allem eine eigene Meinung, ist extrem wissbegierig und neugierig. Und sie hat eine Affäre, die unbedingt geheim bleiben soll. Doch dann begegnet sie Dr. Franz Ullstein, der, obwohl er so viel älter ist als sie, ihr Herz erobern kann. Aber seine Familie hat etwas gegen ihre Beziehung und boykottiert sie mit allen möglichen Mitteln. Gewinnt am Ende die Liebe oder das Geld?
Lili ist mit ihrer Jugendliebe Emil verlobt, der als Fotograf groß herauskommen will. Wenn sie könnten wie sie wöllten, wären sie längst verheiratet – aber sie haben weder Aussicht auf eine eigene Wohnung noch Emil auf eine feste Anstellung.
Sehr farbenfroh und unglaublich lebendig schildert die Beate Rygiert die damalige Zeit, vor allem natürlich die Künstler- und Kulturszene und wer mit wem ... Ich hatte beim Lesen das Gefühl, direkt dabei zu sein und den Protagonisten über die Schultern zu schauen. Besonders fasziniert hat mich u.a. die Teestunde im Boxstudio von Sabri Mahir. Aber natürlich klingt auch das Erstarken des Nationalsozialismus immer wieder durch. Es werden Straßenschlachten zwischen links und rechts geschildert und der zunehmende Judenhass. Nicht nur Vicky und Rosalie fragen sich immer öfter, wie sicher sie in Deutschland noch sind.
Ich fand das riesige Familienunternehmen Ullstein spannend, die verschiedenen Zeitungen, Journale und den Buchverlag, wie alles funktioniert hat und die verschiedenen Bereiche ineinandergriffen. Die Autorin geht auch auf die Streitereien innerhalb der Führungsebene ein, die nur aus männlichen Familienmitgliedern besteht. Aber natürlich mischen sich auch die Ullsteinfrauen immer wieder mehr oder weniger geschickt und (un)auffällig in das Tagesgeschehen der Firma und Familienangelegenheiten ein, schließlich muss man ja aufeinander aufpassen und will nicht zu kurz kommen – alles unter dem Deckmäntelchen, die Firma für die nächste Generation bewahren zu wollen.
Die Liebesgeschichte zwischen Rosalie und Franz beginnt sehr bezaubernd und witzig: „Sie und ich, wir sollten heiraten. … Sie sind die erste Frau, die mich nicht nach fünf Minuten langweilt. Und ich werde Ihnen Ihre Träume möglich machen.“ (S. 140). Er verspricht ihr die Sterne vom Himmel, eine moderne Ehe, die sie nicht einengen wird. Sie darf ihre Freiheiten und ihr Bankkonto behalten – das war damals nicht unbedingt üblich. Um so mehr taten sie mir leid, als die Grabenkämpfe mit der Familie losgingen. Die versuchen nämlich mit Einschüchterung, Bestechung, Bedrohung und haltlosen Beschuldigungen die beiden zu trennen. Ich fand es gut, wie Rosalie für sich und ihre Ansichten eingestanden ist und sich von ihnen nicht unterkriegen lassen hat. Franz hat leider keine ganz so gute Figur abgegeben. Er ließ sich leichter verunsichern und wusste manchmal nicht mehr, wem er noch in wie weit trauen kann, wer es noch gut mit ihm meint. Ich fand es schade, dass er irgendwann auch an Rosalie zweifelte …
„Die Ullsteinfrauen und das Haus der Bücher“ ist ein richtig toller historischer Schmöker, den ich an einem Wochenende inhaliert habe. Er beruht auf wahren Begebenheiten und zeigt die Schicksale von 3 wunderbaren starken Frauen, die ihr Glück und ihr Schicksal selber in die Hand nehmen und für ihre Selbstbestimmung und Gleichberechtigung kämpfen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen