Das Mitternachtscornflakes-Café
„Er ist sich nicht sicher, was zwischen ihnen ist. Keiner von beiden hat es ausgesprochen. Es gab keine Küsse, keine Berührungen, keine entblößten Seelen oder Körper.“ (S. 65) Rosie und Will könnten kaum verschiedener sein. Sie ist die Streberin, er der Badboy und bestaussehendste Junge der Schule. Rosie kommt aus einer scheinbar perfekten Familie, bricht nie die Regeln oder lügt, hat noch nie geraucht oder Alkohol getrunken und für alles einen Plan: Sie will einen gutbezahlten Beruf, um sich ein gutes Leben zu ermöglichen.
Will und seine kleine Schwester wurden früh von ihrer Mutter verlassen und kennen ihre Väter nicht. Ihre Großeltern haben ihnen zwar ein liebevolles Zuhause gegeben, aber die Sehnsucht nach seiner Mutter und gleichzeitige Wut auf sie, weil sie sich nie bei ihnen meldet, bringen sein Blut zum Kochen. Er lässt keine Party und kein Rauschmittel aus, wurde schon mal der Schule verwiesen, aber niemand weiß, warum. Nach der Schule will er endlich reisen und die ganze Welt sehen.
Rosies Zwillingsbruder Josh und Will sind im gleichen Mathe-Leistungskurs, doch erst bei einem Lagerfeuer lernen er und Rosie sich richtig kennen. Es prickelt sofort, doch Rosie will keine Beziehung. Sie muss sich auf die Schule konzentrieren, schließlich sind sie im Abschlussjahrgang. Will sagt, er wartet und gibt ihr alle Zeit der Welt. Sie telefonieren nächtelang miteinander, sitzen in ihrer jeweiligen Küche, essen Cornflakes oder Toastbrot und reden über alles. Als die Prüfungen vorbei sind, hofft Will, dass sie endlich zusammen sein können, doch da passiert etwas, das eine Beziehung unmöglich macht. Sie driften auseinander, führen getrennte Leben, können sich aber nie vergessen und halten den Kontakt, weil sie insgeheim die Hoffnung nie aufgeben. „Er weiß, dass es zwischen ihnen immer eine Versuchung geben wird, eine Art magnetische Anziehung, die keiner von beiden endgültig brechen kann.“ (S. 284) Und immer, wenn Rosie anruft, ist Will für sie da.
Was ist, wenn man nicht mehr lebt, sondern nur noch existiert? Wenn man alle Gefühle und Empfindungen tief in sich verschließt, weil es zu weh tut, weil man sich sonst vielleicht etwas antun könnte. Schon DAVOR, war ihr Leben nicht perfekt, aber DANACH wird es noch schlimmer.
„Sie ist hungrig – auf jede erdenkliche Art.“ (S. 19) Rosies lernt von klein auf, das Verzicht und Kontrolle das Wichtigste sind. Ihre Mutter kritisiert sie stets und ständig gnaden- und rücksichtslos. Rosie muss sich optimieren, dünner werden, mehr Sport, weniger Essen, und vor allem sehr gute Leistungen bringen. Rosie würde gern was mit Musik machen, spielt mehrere Instrumente, komponiert und textet selber, aber das ist ihrer Mutter nicht genug.
„Ich glaube, dass wir mit jedem Tag ein bisschen sterben. Also können wir genauso gut tun, was wir wollen, bevor es so weit ist.“ (S. 36) Will lebt seine Gefühle und Emotionen immer voll aus. Er ist maßlos, betreibt exzessiv Sport, rast mit seinem Motorrad, liebt Partys, Drogen und Affären. Er hat anscheinend vor nichts Angst, nur seine Großmutter und seine Schwester erden ihn etwas, können ihm manchmal Grenzen setzen. Durch Rosie wird alles anders. Plötzlich hat sein Leben einen Sinn. „Und die Liebe, die er spürt, ist größer als alles, was er jemals gefühlt hat, größer als seine Wut und sein Schmerz, sein Verlangen und sein Zorn, und das ist für ihn vollkommen neu, aber er weiß, es ist das richtige, es für sich zu behalten.“ (S. 216)
So oft stehen Rosie und Will vorm ersten Kuss und so oft kommt etwas dazwischen. Es scheint einfach nie der richtige Moment dafür zu sein, und wenn er da ist, verfliegt er ungenutzt. Sie sehnen sich nacheinander, gestehen es sich aber lange nicht ein. Man hofft und bangt die ganze Zeit mit ihnen, kann ihre Erwartungen und die darauf folgenden Enttäuschungen fast selber körperlich spüren. Trotzdem schwindet die Hoffnung auf ein Happy End nie ganz.
„Vom Ende der Nacht“ ist ein sehr bewegendes Buch, voller Verluste und Trauer, (verlorener) Illusionen und Hoffnungen. Rosies und Wills Geschichte ist die Geschichte einer großen Liebe, die nie wahr zu werden scheint. Aber sie macht auch Mut, genau zu überdenken, was und wen man im Leben wirklich will und was man dafür zu tun und aufzugeben bereit ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen