Hanser Verlag GmbH & Co. KG
„Mein Herr, seien sie so gut, und kommen sie mal kurz mit mir mit.“ (S. 16) Als ein Obdachloser Frau Yeoms Geldbeutel findet und ihr zurückgibt ohne Finderlohn anzunehmen, revanchiert sie sich auf eine ungewöhnliche Art. Er bekommt ab da jeden Tag in ihrem 24-h-Laden eine Lunchbox nach Wahl und räumt zum Dank vor dem Laden auf. Als kurz darauf ihre Nachtschicht kündigt, bietet Frau Yeom ihm den Job an. Ihre einzige Bedingung ist, dass er nicht mehr trinkt. Der Mann, der sich aufgrund seiner jahrelange Alkoholsucht nicht mal mehr an seinen Namen oder sein Alter erinnern kann und der in den letzten Jahren übersehen wurde, hat plötzlich wieder einen Menschen, der sich um ihn sorgt und kümmert. Im Gegenzug hilft er anderen, ihre eigentliche Berufung zu finden oder sich mit Familienangehörigen auszusöhnen. Jede gute Tat zieht eine weitere nach sich – und mit jeder erinnert sich der Obdachlose ein bisschen mehr an sich.
Kim Ho-yeon gewährt in seinem Roman einen interessanten Einblick in den koreanischen Alltag und die Gesellschaft. Er erzählt sehr ruhig und melancholisch. Ich habe etwas gebraucht, um mich in den Stil und das Tempo einzulesen. Auch an die für uns fremdklingenden Namen, bei denen selbst im Buch mehrfach vom jeweiligen Gegenüber nachgefragt wird, ob sie Vor- oder Nachnamen sind, musste ich mich erst gewöhnen.
Der Autor schreibt in abgeschlossenen, aber aufeinander aufbauenden Kurzgeschichten von der Vereinsamung mitten in der Millionenstadt Seoul, auch innerhalb der Familie. Es zählen nur die Karriere und das Ansehen, also werden Sorgen und Problem nicht geteilt, sondern in Alkohol ertränkt. Auch Frau Yeom, die schon 70 ist, ist mit ihren erwachsenen Kindern und deren Ansprüchen und Ansichten nicht glücklich, darum hat sie sich mit ihrem kleinen Laden und dessen Angestellten eine Wahlfamilie geschaffen. Sie ist das ausgleichende Element der verschiedenen Charaktere, ändert die Menschen nur vorsichtig und nicht immer bewusst. Auch die Rettung des Obdachlosen, der sich Dok-go (das bedeutet: alleine und einsam) nennt, war nicht geplant. Aber nachdem sie gemerkt hat, dass hinter dem verwahrlosten Stotterer ein heller und freundlicher Geist steckt, fördert und fordert sie ihn – und er übernimmt diese Vorgehensweise bei den Menschen, denen er begegnet.
Es ist ein Plädoyer für Mitgefühl, dafür hinzusehen und zu helfen, wenn man es kann.
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