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Eine Couturière erster Klasse
„Es war eine Gabe, sehen zu können, was die meisten Menschen lieber nicht sehen wollten.“ (S. 13) Die Schwarze Schneiderin Bailey entdeckt bereits mit 12 Jahren, dass sie Visionen über die Menschen hat, die sie berührt. Sie sieht deren Leidenschaften und Leiden, Vergangenheit und Zukunft. Um sich vor der Überflutung fremder Gedanken und Gefühle zu schützen, trägt sie bei der Arbeit Handschuhe. Dennoch spricht sich ihre Gabe herum. Immer häufiger kommen Bräute nicht nur wegen der Kleider in das Geschäft, sondern auch, um zu erfahren, ob ihre Ehen glücklich werden. Bailey sträubt sich zunächst, aber sie kann das Geld, das man ihr für ihre Dienste bietet, gut gebrauchen. Als sie eines Tages Elsa, die Tochter eines Ölbarons, unabsichtlich berührt, entdeckt sie deren schreckliches Geheimnis und empfindet Mitleid. Kann sie Elsa helfen oder soll sie sich an das halten, was ihre Tante ihr stets einschärft? „Vergiss nicht, wo du hingehörst… Vergiss nicht eine Sekunde lang, wer du bist.“ (S. 271)
Eins vorab: Der im Klappentext erwähnte Mord nimmt weniger Raum ein, als man erwarten könnte, da er erst im letzten Viertel der Handlung geschieht. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage, warum Elsa überhaupt ein Motiv entwickeln könnte und wie sich die Situation immer mehr zuspitzt.
Trisha R. Thomas erzählt diese mitreißende Geschichte aus der Perspektive von vier sehr unterschiedlichen Frauen, die eines gemeinsam haben: Sie stecken in den engen Korsetts ihrer Gesellschaftsschicht und Zeit fest, unfähig, ihre Rollen einfach abzulegen.
Baileys Alltag ist von Angst geprägt. Um bloß nicht aufzufallen, hält sie sich penibel an alle Regeln, schaut Weißen nie zu lange in die Augen und begegnet ihnen stets unterwürfig. Aber sie hat eine Schwäche: Sie möchte helfen – besonders den Frauen, die zu ihr kommen und deren scheinbar perfekten Beziehungen bei genauerem Hinsehen tiefe Risse zeigen.
Ihre Tante Charlene hatte die Stadt eins verlassen und wollte nie zurückkehren. Doch nach dem Tod von Baileys Mutter zog sie zu ihrer Nichte. Die beiden verbindet weniger familiäre Nähe als eine Zweckgemeinschaft. Charlene schreckt vor körperlicher Nähe zurück und verstärkt Baileys Angst vor Fehlern und deren möglichen Konsequenzen – nicht zuletzt, weil auch sie ein dunkles Geheimnis hütet.
Elsa fühlt sich den Erwartungen ihrer Mutter nie gewachsen. Sie trägt lieber Karohemden und Latzhosen als elegante Kleider, und auch die Benimmschule hat nicht den erwarteten Erfolg gebracht. Der mühsam erarbeitete Reichtum ihrer Eltern bedeutet ihr wenig, und heiraten will sie auf keine Fall. Doch ihre Einwände werden einfach überhört. „Das hier ist Mendol. Da heiratet man nicht aus Liebe. Wir heiraten, um unsere Familie zu ehren, zugunsten unseres Ansehens in den Augen Gottes.“ (S. 16)
Elsas Mutter Ingrid hat das Unternehmen ihres Mannes maßgeblich im Hintergrund mit aufgebaut. In der geplanten Hochzeit sieht sie den Höhepunkt dessen, was die Familie erreicht hat – ein Ereignis, das sie den Gästen stolz präsentieren will. Hinter den Kulissen ist diese Ehe jedoch ihre einzige Chance, das Unternehmen zu retten und Elsas Zukunft abzusichern, denn die Ölpreise fallen stetig. Ingrid klammert sich an den hart erkämpften Status und fürchtet nichts mehr, als den Rückfall in die Armut.
Doch obwohl die Frauen zunächst gefangen scheinen in ihren vorgezeichneten Bahnen, beginnt sich im Laufe der Geschichte etwas zu verändern. Sie finden ihre Stimmen, ihren Mut und ihr Selbstbewusstsein. Sie stellen sich ihren Ängste, überwinden Grenzen und wagen es, ihre Leben neu zu denken, hin zu ihren Leidenschaften und wahren Lieben.
Die Autorin verdeutlicht dabei eindrucksvoll Rassenunterschiede und Vorurteile der 1950er Jahre. Sie zeigt, wie PoC weiterhin als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden, ebenso wie die wirtschaftlichen Umbrüche der Zeit: Die Ölindustrie steckt in einer Krise, das Überangebot lässt die Preise fallen, Unternehmen gehen bankrott.
Insgesamt ist es ein starkes, wichtiges Buch, das aufrüttelt und Themen beleuchtet, über die ich so zuvor noch nie gelesen habe. Lediglich der Täter war für mich etwas zu vorhersehbar und das Ende wirkte stellenweise überfrachtet – was den positiven Gesamteindruck jedoch kaum schmälert.

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