Lieber Tom, würdest Du
Dich unseren Lesern bitte kurz vorstellen?
Ich bin Tom Jacuba, hallo. Bürgerlicher Name: Thomas Ziebula.
Geboren vor ziemlich langer Zeit am Rhein (Düsseldorf), aufgewachsen am Rande
des Spreewalds, wo auch meine familiären Wurzeln liegen; meine prägenden
Jugendjahre habe ich wieder am Rhein verbracht (Karlsruhe). Im Moment siedle
ich gerade aus dem Südwesten an die Ostsee um.
Seit 1997 lebe ich vom Schreiben, davor habe ich in
allerhand sozialen Berufen gearbeitet, zuletzt als Sozialpädagoge in einer psychosomatischen
Klinik.
Welches Buch ist Dein
Erstlingswerk?
„Nero Nashorn will bestimmen.“ Zuerst 1996 bei Rowohlt
erschienen, vor zwei Jahren völlig neu überarbeitet bei CassiopeiaPress. In
diesem Kinderbuch erzähle ich die Geschichte vom tyrannischen Nashornbullen
Nero, der keine gefleckten und gestreiften Tiere in der Savanne dulden will und
von einer Maus besiegt wird. Das Buch entstand unter dem Eindruck brennender
Ausländerhäuser und Asylantenwohnheime Anfang der neunziger Jahre. Mehr als
zwanzig Jahre her und immer noch hoch aktuell. Leider, leider.
Wie viele Bücher hast
Du bisher veröffentlicht?
Ich gehe jetzt nicht in den Keller, um zu zählen, sondern
schätze vorsichtig: etwa 20 Taschenbücher, etwas mehr als ein Dutzend Hardcover,
vor allem bei kleinen Fantasy- und SF-Verlagen, sechs richtig dicke Schmöker
bei Hoffman und Campe und Bastei-Lübbe, ungefähr 300 Heftromane. Na ja, und ein
paar eBooks.
In welchen Genres
schreibst Du überwiegend und findest Du es manchmal schwierig, klare
Abgrenzungen zu machen?
In erster Linie schreibe ich historische Romane und Fantasy,
letzteres bis vor zwei Jahren unter dem Pseudonym Jo Zybell. Daneben, für
schnelles Geld, schreibe ich Western, hin und wieder auch noch einen Heftroman
in der Maddraxreihe. Gerne baue ich Gedichte, für Wettbewerbe auch Kurzgeschichten.
Abgrenzungsschwierigkeiten? Nein.
Und natürlich
gleich die Standardfragen:
Wie bist Du zum
Schreiben gekommen?
Durch Not und Lust.
Not: Einsamkeit in der Kindheit, Entwurzelung, Angst,
Krankheit, Scheitern. Wer schreibt, hat einen Schuss, das ist einfach so; auch
wenn Ken Follett das einmal – während er in einer Hotelsuite, barfuß und im
Maßanzug, Champagner schlürfte – für sich selbst abgestritten hat. Von Wilhelm
Genazino stammt der Satz: „Literatur ist der Versuch, mit einem Schmerz zu
sprechen.“ Das trifft es.
Lust: Es macht mich schlicht glücklich zu schreiben – zum
Ausdruck zu bringen, was da noch ungesagt in Hirn und Herz herumschwirrt, zu
einer Erzählung zu gestalten, was mir unter den Nägeln brennt, und dann online zu
beobachten, wie LeserInnen sich von meiner Geschichte fesseln lassen. All das
liebe ich und hätte nichts dagegen, es bis zum Schluss zu tun.
Woher nimmst Du die
Ideen für das Buch/die Bücher?
Ich klaue sie.
Der Welt um mich herum; dem, was ich auf der Straße, in
Kneipen, in öffentlichen Verkehrsmitteln beobachte; den Schicksalsschlägen der
Menschen um mich herum; den Freuden der Menschen um mich herum; der Tageszeitung,
meinen Träumen, den Büchern, die ich lese, irgendeiner Musik, irgendeinem
Gesprächspartner, irgendeinem Film; meistens weiß ich gar nicht, wen ich gerade
beklaue; häufig blubbert ein Einfall aus meinem Unterbewussten heraud, doch
auch dort gärt ja nur Zeugs, was ich (oder meine Vormütter und -väter)
irgendwann mal inhaliert oder herunter gewürgt haben.
Kurz: Ideen hat jeder; viele von uns sogar Dutzende am Tag.
Ideen sind wirklich nicht das Problem beim Schreiben. Die eigentliche
Herausforderung besteht (vorausgesetzt man ist im Herzen ein Schreiber)
schlicht in zwei Punkten: der Disziplin, sich auf den Hinter zu setzen und zu
schreiben, und dem unbedingten Willen, sich das bestmöglichste Handwerkszeug
dafür anzueignen.
An welchem
Projekt/Buch arbeitest Du aktuell?
An Kalypto 3. Und gedanklich bzw. konzeptionell auch schon an
dem historischen Roman, den ich nächsten Monat zu schreiben beginnen werde (so
Gott will und ich lebe, wie man ganz früher sagte).
Was machst Du, wenn
Du nicht gerade ein Buch schreibst? (Beruf und/oder Hobbies?)
Ich höre Musik. Immer. Auch und vor allem, während ich
schreibe.
Dann lese ich sehr viel, treibe Sport, koche gern, pflege
eine umfangreiche Korrespondenz, wandere, spiele Skat und Schach. Im Moment
plane ich für nächstes Jahr eine Islandreise.
Hast Du eine Sammelleidenschaft?
Wenn ja, welche?
Eigentlich nicht. Allerdings neige ich dazu anzuhäufen, was
aus beschriebenem oder unbeschriebenem Papier besteht. Ausstellungkataloge
sammle ich tatsächlich, niederländische Malerei und die Surrealisten machen
mich schwach. Schreibwerkzeuge kann ich nicht genug haben, und immer bin ich
auf der Suche nach einer ultimativen Tastatur.
Treibst du Sport?
Mindesten dreimal die Woche Frühgymnastik. Ein bis zweimal
die Woche renne ich eine Stunde durch die Prärie, ein bis zweimal die Woche übe
ich in einer Kung-Fu-Schule Kampfsport.
Hast Du eigene Tiere?
Wenn ja, welche?
Im Augenblick leider nicht. Allerdings gab es immer
Lebensphasen, in denen ich mit Tieren lebte. Ich erinnere mich dunkel an eine
Ziege, sehr genau an ein Schwein und an Hühner, mit Freude an eine Kuh, auf der
ich geritten bin, an Goldhamster und Wellensittiche, gern an einen Schäferhund
und einen Spitz und am liebsten an viele Katzen, die mein Leben schon begleitet
haben. Demnächst – und darüber freue ich mich sehr – werde ich wieder mit drei
Katzen zusammen leben.
Was würdest Du
machen, wenn Du 1 Mio € auf dem Konto hättest? Würdest Du Dein Leben ändern?
Solche Konjunktivfragen mag ich gar nicht. Doch weil Ihr es
seid: Ich würde ein paar Menschen glücklich machen, Schulden bezahlen, uralten
Whisky kaufen, ein neues Dach aufs Haus setzen und nur noch alle zwei Jahre ein
Buch veröffentlichen: ein Jahr lang recherchieren, ein Jahr lang schreiben. Wie
Ken Follett, dieser alte Genießer.
Wie würden Dich Deine
Freunde beschreiben?
Unruhiger Geist, aber großzügig und ein selten guter Zuhörer.
Mit dem kann man weinen und lachen. Der Mann ist trinkfest, teilt sein letztes
Hemd mit dir, ist ein bisschen verrückt, tanzt auf Tischen und so, hört
komische Musik, liest komische Bücher. Macht nix – dafür ist er treu und du
kannst dich auf ihn verlassen.
Wie würden Dich Deine
Feinde beschreiben?
Arroganter Typ. Weiß alles besser. Verändert ständig sein
Leben. Schreibt bescheuerte Bücher, statt in einem vernünftigen Job
ordentliches Geld zu verdienen. Ein Träumer. Wie kann man nur so
verschwenderisch sein? Schwer, mit dem, über normale Sachen zu plaudern: etwa
über dein Auto, dein Haus, deine Familie. Irgendwie nicht von dieser Welt, der
Kerl.
Trinkst Du lieber
Kaffee oder Tee?
Tee. Zuerst schwarzen. Im Laufe des Vormittags grünen. Ab
dem frühen Nachmittag griechischen Bergtee.
Hast Du einen
Lieblingsort und verrätst Du ihn uns auch?
Also gut. Mein Lieblingsort ist ein Moorsee am Rande des
Städtchens Wangen. Da war ich in meiner Jugend oft und vor zwei Jahren zum
letzten Mal.
Dann gibt es ein Hochmoor im Schwarzwald – den Wildsee. Da
bin ich immer wieder mal sehr gern.
Und schließlich der Schaalsee am ehemaligen Todesstreifen in
MeckPomm – unfassbar schön.
In Köln, im Museum Ludwig, hängt ein großes Bild von Dali:
„Bahnhof von Perpignan“ und eines von Yves Klein „Blau“ – vor beiden könnte ich
tagelang stehen oder sitzen und die Welt um mich herum und mich selbst
vergessen.
Da wir ein
Buchblog sind, interessieren uns natürlich auch Deine Lesegewohnheiten!
Erinnerst Du Dich an
Dein erstes selbst gelesenes Buch? Wenn ja, welches Buch war es?
„Nick hat Charakter“, die Geschichte eines Zwergschnauzers
aus Hundeperspektive; ich besitze es noch.
Dann Grimms Märchen. Mein Lieblingsmärchen: „die Bremer
Stadtmusikanten“, mein Lieblingssatz daraus: „Etwas Besseres als den Tod
findest du überall.“
Schließlich „Der Löwe von Flandern“ und Felix Dahns „Kampf
um Rom“.
Alles lange her. Und alles ziemlich prägend. Dem Felix Dahn
bin ich heute noch böse, dass er seine liebenswerten Figuren regelmäßig und
unerwartet mit einem einzigen Schlag vernichtete.
Welches Buch hast Du
als letztes gelesen und welches Buch liest Du aktuell?
Die beiden Bücher von Donna Tartt: „Der Distelfink“ und „Die
geheime Geschichte“. Großartig! Seit John Irving nicht mehr so etwas Gutes
gelesen.
Davor Austers „Invisibel“. Ein ganz besonderes Buch, vor
allem formal sehr reizvoll. Und das Highlight der letzten Jahre: David Foster
Wallace „Unendlicher Spaß. Zuletzt Clemens Setz: „Die Stunde zwischen Frau und
Gitarre.“ Ausschweifend, fett, gewiss kein Thriller, aber richtig gut. Ich habe
das Buch verschenkt und vermisse es. Doch vermutlich nur etwas für Liebhaber
ungewöhnlichen Zeugs.
Zur Zeit lese ich Baker „Der Wanderfalke“. Etwas sprachlich derart
Schönes habe ich selten gelesen. Werner Herzog hat mich in einem Interview drauf
gebracht. Der drückt seinen Filmschülern eine Handvoll Bücher aufs Auge, die
sie lesen müssen, bevor sie bei ihm lernen dürfen. „Der Wanderfalke“ ist eines
davon.
Welches Buch hat Dich
bisher am meisten beeindruckt oder beeinflusst und warum?
Schwer zu sagen. Sind zu viele.
Grimms Märchen? Einleuchtende Figuren.
Felix Dahns „Kampf um Rom“? Baut die großartigsten
Charaktere auf, nur um sie dann mit einem einzigen brutalen dramaturgischen
Schlag zu vernichten. Ich hasse ihn. Ich liebe ihn.
Auf jeden Fall die Bibel (die Bücher „Chronik“, „Könige“ und
„Samuel“ und in der Genesis die Geschichte von Jakob und seinem Sohn Joseph).
Ob man es glaubt oder nicht: In diesen Geschichten gibt es nicht die Spur des
blöden Gut-Böse-Schemas.
Feuchtwangers historische Romane sind mir ein Vorbild:
Differenziert, figurenorientiert, tolle Psychogramme, Spannung ohne Ende. Viel
Gefühl, ein Ende zum Verrückt werden.
Kurt Vonnegut war mir eine Offenbarung: „Schlachthof Nr.
fünf“. Hätte den Nobelpreis verdient. Vonnegut ist der Beste: Er versteht es,
die Wirklichkeit zum Heulen realistisch darzustellen – und zugleich zum Lachen
lächerlich. Eine atemberaubende Kunst. Ähnlich, auf weniger genialem Niveau,
sein Freund John Irving.
Natürlich gibt es da noch viel mehr: Siri Hustvedts Essays, „Invisibel“
von ihrem Mann Auster, „Stoner“ von John Williams (atemberaubend), Philipp K.
Dicks großartige Geschichten.
Ich höre jetzt auf, das Interview soll ja irgendwann mal ein
Ende haben. Oder?
Verrätst Du uns Dein
Lebensmotto?
Lebensmotto – wie
das schon klingt. Als hätte man ein Prinzip, dem man immer und ewig treu
bleibt. Nicht mein Ding. Doch wenn es unbedingt sein muss, hier ein Spruch aus
dem Zen, der mich seit Jahrzehnten begleitet und an der Wand meines
Arbeitszimmers hängt: „Kein Hingang ohne Wiederkehr. Keine Ebene, der nicht ein
Abhang folgt. Wohl dem, der beharrlich bleibt in Gefahr. Beklage dich nicht
über diese Wahrheit, genieße das Glück, das du noch hast.“
Und zum Abschluß:
Gibt es eine Figur
aus Deinen Büchern, mit der Du Dich liebend gerne mal auf einen Kaffee
zusammensetzen würdest?
Da gibt es einen Gnom namens Sakrydor. Aber der setzt sich
mit niemandem zum Kaffee zusammen. Nicht einmal mit mir.
Welche Frage wolltest
Du schon immer mal gestellt bekommen?
Ehrlich: Fällt mir nichts zu ein.
Das heißt, wenn ich ein wenig grüble, schon: „Willst du mit
uns fliegen?“
So fragen ja bekanntlich Außerirdische, die aus ihrem
Raumschiff steigen und den erstbesten Erdling ansprechen. In diesem Fall: mich.
Ich sag natürlich „Ja“.
Und hier kannst Du
Dich nochmal frei entfalten, wenn Du magst ;-)
Na gut. Dann plaudere ich noch ein wenig über Kalypto.
Ursprünglich sollte das Buch „Der Waldmann“ heißen – nach
einem Gedicht, das ich 1993 geschrieben habe. Es heißt „Aufbruch“ und
beschreibt den Augenblick, in dem ein Waldmann im Schilf seine Lanze hebt und
auf ein Wild zielt. Damals „erschien“ mir diese Figur zum ersten Mal. Und ließ
mich nicht mehr los.
Das Gedicht kommt in Band 2 vor, allerdings ohne, dass
daraus zitiert wird. „Veröffentlicht“ wird es – natürlich stark überarbeitet –
erst in Band 3.
Der eigensinnige wilde Jäger begleitete mich durch die
Jahre. Andere Fantasy-Helden beeinflussten seine Entwicklung: der wortkarge
Conan, Abercrombies ruppiger Logan, der stolze Jacub aus meinem Roman „Die
Tochter der Goldzeit“, der vor sechs Jahren unter meinem Pseudonym Jo Zybell
erschien.
Ich taufte ihn „Lasnic“ (im slawischen Sprachraum:
Waldbewohner), schrieb die ersten Kapitel des zweiten Teils von Band 1 und
stellte mit ihnen meinen Waldmann einem Verlagslektor vor. Der ließ ihn
durchfallen – der Kerl sei viel zu grob und unflätig. Lasnic landete in der
Schublade.
Bis ich Ruggero Leò traf, der bis vor einem Jahr die Fantasy
bei Bastei-Lübbe betreute. Bei einer Zigarettenpause auf dem Verlagsdach fragte
er mich, ob ich nichts in der Schublade hätte, was ich wiederbeleben könnte.
Hatte ich. Ich schickte ihm den Waldmann, es folgten Exposé, weitere Textproben
und schließlich ein Vertrag für eine Trilogie. Der Schreiber war glücklich und
ist bis heute dankbar, damals in Ruggero Leòs Zigarettenpause gestolpert zu
sein.
Danach nahm die Geschichte rasch Gestalt an: Aus der Wildnis
seines Flusswaldes flieht Lasnic vor der Berufung zum Waldfürsten ins Hochgebirge
jenseits des Ozeans, wo die Aristokratin Ayrin über ein hoch kultiviertes
Bergreich regiert, in dem die Frauen das Sagen haben. Der raue Waldmann kommt
erst einmal mächtig unter die Räder.
Den Rest kennen meine LeserInnen bereits – jedenfalls zur
Hälfte.
Im Moment beende ich gerade das zweite Buch von Band 3, der
im August erscheinen soll.
Vielen Dank für das tolle Interview! Es hat
Spaß gemacht!
Die Nichtohnebuch-WG
Und falls wir Euch jetzt neugierig gemacht habe, Jashrin hat Kalypto - Die Herren der Wälder bereits gelesen und für Euch rezensiert.
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