Dienstag, 15. März 2016

Interview mit Tom Jacuba




Lieber Tom, würdest Du Dich unseren Lesern bitte kurz vorstellen?
Ich bin Tom Jacuba, hallo. Bürgerlicher Name: Thomas Ziebula. Geboren vor ziemlich langer Zeit am Rhein (Düsseldorf), aufgewachsen am Rande des Spreewalds, wo auch meine familiären Wurzeln liegen; meine prägenden Jugendjahre habe ich wieder am Rhein verbracht (Karlsruhe). Im Moment siedle ich gerade aus dem Südwesten an die Ostsee um.
Seit 1997 lebe ich vom Schreiben, davor habe ich in allerhand sozialen Berufen gearbeitet, zuletzt als Sozialpädagoge in einer psychosomatischen Klinik.

Welches Buch ist Dein Erstlingswerk?
„Nero Nashorn will bestimmen.“ Zuerst 1996 bei Rowohlt erschienen, vor zwei Jahren völlig neu überarbeitet bei CassiopeiaPress. In diesem Kinderbuch erzähle ich die Geschichte vom tyrannischen Nashornbullen Nero, der keine gefleckten und gestreiften Tiere in der Savanne dulden will und von einer Maus besiegt wird. Das Buch entstand unter dem Eindruck brennender Ausländerhäuser und Asylantenwohnheime Anfang der neunziger Jahre. Mehr als zwanzig Jahre her und immer noch hoch aktuell. Leider, leider.

Wie viele Bücher hast Du bisher veröffentlicht?
Ich gehe jetzt nicht in den Keller, um zu zählen, sondern schätze vorsichtig: etwa 20 Taschenbücher, etwas mehr als ein Dutzend Hardcover, vor allem bei kleinen Fantasy- und SF-Verlagen, sechs richtig dicke Schmöker bei Hoffman und Campe und Bastei-Lübbe, ungefähr 300 Heftromane. Na ja, und ein paar eBooks.

In welchen Genres schreibst Du überwiegend und findest Du es manchmal schwierig, klare Abgrenzungen zu machen?
In erster Linie schreibe ich historische Romane und Fantasy, letzteres bis vor zwei Jahren unter dem Pseudonym Jo Zybell. Daneben, für schnelles Geld, schreibe ich Western, hin und wieder auch noch einen Heftroman in der Maddraxreihe. Gerne baue ich Gedichte, für Wettbewerbe auch Kurzgeschichten. Abgrenzungsschwierigkeiten? Nein.

Und natürlich gleich die Standardfragen:
Wie bist Du zum Schreiben gekommen? 
Durch Not und Lust.
Not: Einsamkeit in der Kindheit, Entwurzelung, Angst, Krankheit, Scheitern. Wer schreibt, hat einen Schuss, das ist einfach so; auch wenn Ken Follett das einmal – während er in einer Hotelsuite, barfuß und im Maßanzug, Champagner schlürfte – für sich selbst abgestritten hat. Von Wilhelm Genazino stammt der Satz: „Literatur ist der Versuch, mit einem Schmerz zu sprechen.“ Das trifft es.
Lust: Es macht mich schlicht glücklich zu schreiben – zum Ausdruck zu bringen, was da noch ungesagt in Hirn und Herz herumschwirrt, zu einer Erzählung zu gestalten, was mir unter den Nägeln brennt, und dann online zu beobachten, wie LeserInnen sich von meiner Geschichte fesseln lassen. All das liebe ich und hätte nichts dagegen, es bis zum Schluss zu tun.

Woher nimmst Du die Ideen für das Buch/die Bücher?
Ich klaue sie.
Der Welt um mich herum; dem, was ich auf der Straße, in Kneipen, in öffentlichen Verkehrsmitteln beobachte; den Schicksalsschlägen der Menschen um mich herum; den Freuden der Menschen um mich herum; der Tageszeitung, meinen Träumen, den Büchern, die ich lese, irgendeiner Musik, irgendeinem Gesprächspartner, irgendeinem Film; meistens weiß ich gar nicht, wen ich gerade beklaue; häufig blubbert ein Einfall aus meinem Unterbewussten heraud, doch auch dort gärt ja nur Zeugs, was ich (oder meine Vormütter und -väter) irgendwann mal inhaliert oder herunter gewürgt haben.
Kurz: Ideen hat jeder; viele von uns sogar Dutzende am Tag. Ideen sind wirklich nicht das Problem beim Schreiben. Die eigentliche Herausforderung besteht (vorausgesetzt man ist im Herzen ein Schreiber) schlicht in zwei Punkten: der Disziplin, sich auf den Hinter zu setzen und zu schreiben, und dem unbedingten Willen, sich das bestmöglichste Handwerkszeug dafür anzueignen.

An welchem Projekt/Buch arbeitest Du aktuell?
An Kalypto 3. Und gedanklich bzw. konzeptionell auch schon an dem historischen Roman, den ich nächsten Monat zu schreiben beginnen werde (so Gott will und ich lebe, wie man ganz früher sagte).

Was machst Du, wenn Du nicht gerade ein Buch schreibst? (Beruf und/oder Hobbies?)
Ich höre Musik. Immer. Auch und vor allem, während ich schreibe.
Dann lese ich sehr viel, treibe Sport, koche gern, pflege eine umfangreiche Korrespondenz, wandere, spiele Skat und Schach. Im Moment plane ich für nächstes Jahr eine Islandreise.

Hast Du eine Sammelleidenschaft? Wenn ja, welche? 
Eigentlich nicht. Allerdings neige ich dazu anzuhäufen, was aus beschriebenem oder unbeschriebenem Papier besteht. Ausstellungkataloge sammle ich tatsächlich, niederländische Malerei und die Surrealisten machen mich schwach. Schreibwerkzeuge kann ich nicht genug haben, und immer bin ich auf der Suche nach einer ultimativen Tastatur.

Treibst du Sport?
Mindesten dreimal die Woche Frühgymnastik. Ein bis zweimal die Woche renne ich eine Stunde durch die Prärie, ein bis zweimal die Woche übe ich in einer Kung-Fu-Schule Kampfsport.

Hast Du eigene Tiere? Wenn ja, welche?
Im Augenblick leider nicht. Allerdings gab es immer Lebensphasen, in denen ich mit Tieren lebte. Ich erinnere mich dunkel an eine Ziege, sehr genau an ein Schwein und an Hühner, mit Freude an eine Kuh, auf der ich geritten bin, an Goldhamster und Wellensittiche, gern an einen Schäferhund und einen Spitz und am liebsten an viele Katzen, die mein Leben schon begleitet haben. Demnächst – und darüber freue ich mich sehr – werde ich wieder mit drei Katzen zusammen leben.

Was würdest Du machen, wenn Du 1 Mio € auf dem Konto hättest? Würdest Du Dein Leben ändern? 
Solche Konjunktivfragen mag ich gar nicht. Doch weil Ihr es seid: Ich würde ein paar Menschen glücklich machen, Schulden bezahlen, uralten Whisky kaufen, ein neues Dach aufs Haus setzen und nur noch alle zwei Jahre ein Buch veröffentlichen: ein Jahr lang recherchieren, ein Jahr lang schreiben. Wie Ken Follett, dieser alte Genießer.

Wie würden Dich Deine Freunde beschreiben?
Unruhiger Geist, aber großzügig und ein selten guter Zuhörer. Mit dem kann man weinen und lachen. Der Mann ist trinkfest, teilt sein letztes Hemd mit dir, ist ein bisschen verrückt, tanzt auf Tischen und so, hört komische Musik, liest komische Bücher. Macht nix – dafür ist er treu und du kannst dich auf ihn verlassen.

Wie würden Dich Deine Feinde beschreiben? 
Arroganter Typ. Weiß alles besser. Verändert ständig sein Leben. Schreibt bescheuerte Bücher, statt in einem vernünftigen Job ordentliches Geld zu verdienen. Ein Träumer. Wie kann man nur so verschwenderisch sein? Schwer, mit dem, über normale Sachen zu plaudern: etwa über dein Auto, dein Haus, deine Familie. Irgendwie nicht von dieser Welt, der Kerl.

Trinkst Du lieber Kaffee oder Tee?
Tee. Zuerst schwarzen. Im Laufe des Vormittags grünen. Ab dem frühen Nachmittag griechischen Bergtee.

Hast Du einen Lieblingsort und verrätst Du ihn uns auch?
Also gut. Mein Lieblingsort ist ein Moorsee am Rande des Städtchens Wangen. Da war ich in meiner Jugend oft und vor zwei Jahren zum letzten Mal.
Dann gibt es ein Hochmoor im Schwarzwald – den Wildsee. Da bin ich immer wieder mal sehr gern.
Und schließlich der Schaalsee am ehemaligen Todesstreifen in MeckPomm – unfassbar schön.
In Köln, im Museum Ludwig, hängt ein großes Bild von Dali: „Bahnhof von Perpignan“ und eines von Yves Klein „Blau“ – vor beiden könnte ich tagelang stehen oder sitzen und die Welt um mich herum und mich selbst vergessen.

Da wir ein Buchblog sind, interessieren uns natürlich auch Deine Lesegewohnheiten!
Erinnerst Du Dich an Dein erstes selbst gelesenes Buch? Wenn ja, welches Buch war es?
„Nick hat Charakter“, die Geschichte eines Zwergschnauzers aus Hundeperspektive; ich besitze es noch.

Dann Grimms Märchen. Mein Lieblingsmärchen: „die Bremer Stadtmusikanten“, mein Lieblingssatz daraus: „Etwas Besseres als den Tod findest du überall.“
Schließlich „Der Löwe von Flandern“ und Felix Dahns „Kampf um Rom“.
Alles lange her. Und alles ziemlich prägend. Dem Felix Dahn bin ich heute noch böse, dass er seine liebenswerten Figuren regelmäßig und unerwartet mit einem einzigen Schlag vernichtete.

Welches Buch hast Du als letztes gelesen und welches Buch liest Du aktuell?
Die beiden Bücher von Donna Tartt: „Der Distelfink“ und „Die geheime Geschichte“. Großartig! Seit John Irving nicht mehr so etwas Gutes gelesen.
Davor Austers „Invisibel“. Ein ganz besonderes Buch, vor allem formal sehr reizvoll. Und das Highlight der letzten Jahre: David Foster Wallace „Unendlicher Spaß. Zuletzt Clemens Setz: „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre.“ Ausschweifend, fett, gewiss kein Thriller, aber richtig gut. Ich habe das Buch verschenkt und vermisse es. Doch vermutlich nur etwas für Liebhaber ungewöhnlichen Zeugs.
Zur Zeit lese ich Baker „Der Wanderfalke“. Etwas sprachlich derart Schönes habe ich selten gelesen. Werner Herzog hat mich in einem Interview drauf gebracht. Der drückt seinen Filmschülern eine Handvoll Bücher aufs Auge, die sie lesen müssen, bevor sie bei ihm lernen dürfen. „Der Wanderfalke“ ist eines davon.

Welches Buch hat Dich bisher am meisten beeindruckt oder beeinflusst und warum? 
Schwer zu sagen. Sind zu viele.
Grimms Märchen? Einleuchtende Figuren.
Felix Dahns „Kampf um Rom“? Baut die großartigsten Charaktere auf, nur um sie dann mit einem einzigen brutalen dramaturgischen Schlag zu vernichten. Ich hasse ihn. Ich liebe ihn.
Auf jeden Fall die Bibel (die Bücher „Chronik“, „Könige“ und „Samuel“ und in der Genesis die Geschichte von Jakob und seinem Sohn Joseph). Ob man es glaubt oder nicht: In diesen Geschichten gibt es nicht die Spur des blöden Gut-Böse-Schemas.
Feuchtwangers historische Romane sind mir ein Vorbild: Differenziert, figurenorientiert, tolle Psychogramme, Spannung ohne Ende. Viel Gefühl, ein Ende zum Verrückt werden.
Kurt Vonnegut war mir eine Offenbarung: „Schlachthof Nr. fünf“. Hätte den Nobelpreis verdient. Vonnegut ist der Beste: Er versteht es, die Wirklichkeit zum Heulen realistisch darzustellen – und zugleich zum Lachen lächerlich. Eine atemberaubende Kunst. Ähnlich, auf weniger genialem Niveau, sein Freund John Irving.
Natürlich gibt es da noch viel mehr: Siri Hustvedts Essays, „Invisibel“ von ihrem Mann Auster, „Stoner“ von John Williams (atemberaubend), Philipp K. Dicks großartige Geschichten.
Ich höre jetzt auf, das Interview soll ja irgendwann mal ein Ende haben. Oder?

Verrätst Du uns Dein Lebensmotto?
Lebensmotto – wie das schon klingt. Als hätte man ein Prinzip, dem man immer und ewig treu bleibt. Nicht mein Ding. Doch wenn es unbedingt sein muss, hier ein Spruch aus dem Zen, der mich seit Jahrzehnten begleitet und an der Wand meines Arbeitszimmers hängt: „Kein Hingang ohne Wiederkehr. Keine Ebene, der nicht ein Abhang folgt. Wohl dem, der beharrlich bleibt in Gefahr. Beklage dich nicht über diese Wahrheit, genieße das Glück, das du noch hast.“

Und zum Abschluß:
Gibt es eine Figur aus Deinen Büchern, mit der Du Dich liebend gerne mal auf einen Kaffee zusammensetzen würdest?
Da gibt es einen Gnom namens Sakrydor. Aber der setzt sich mit niemandem zum Kaffee zusammen. Nicht einmal mit mir.

Welche Frage wolltest Du schon immer mal gestellt bekommen? 
Ehrlich: Fällt mir nichts zu ein.
Das heißt, wenn ich ein wenig grüble, schon: „Willst du mit uns fliegen?“
So fragen ja bekanntlich Außerirdische, die aus ihrem Raumschiff steigen und den erstbesten Erdling ansprechen. In diesem Fall: mich. Ich sag natürlich „Ja“.

Und hier kannst Du Dich nochmal frei entfalten, wenn Du magst ;-)
Na gut. Dann plaudere ich noch ein wenig über Kalypto.
Ursprünglich sollte das Buch „Der Waldmann“ heißen – nach einem Gedicht, das ich 1993 geschrieben habe. Es heißt „Aufbruch“ und beschreibt den Augenblick, in dem ein Waldmann im Schilf seine Lanze hebt und auf ein Wild zielt. Damals „erschien“ mir diese Figur zum ersten Mal. Und ließ mich nicht mehr los.
Das Gedicht kommt in Band 2 vor, allerdings ohne, dass daraus zitiert wird. „Veröffentlicht“ wird es – natürlich stark überarbeitet – erst in Band 3.
Der eigensinnige wilde Jäger begleitete mich durch die Jahre. Andere Fantasy-Helden beeinflussten seine Entwicklung: der wortkarge Conan, Abercrombies ruppiger Logan, der stolze Jacub aus meinem Roman „Die Tochter der Goldzeit“, der vor sechs Jahren unter meinem Pseudonym Jo Zybell erschien.
Ich taufte ihn „Lasnic“ (im slawischen Sprachraum: Waldbewohner), schrieb die ersten Kapitel des zweiten Teils von Band 1 und stellte mit ihnen meinen Waldmann einem Verlagslektor vor. Der ließ ihn durchfallen – der Kerl sei viel zu grob und unflätig. Lasnic landete in der Schublade.
Bis ich Ruggero Leò traf, der bis vor einem Jahr die Fantasy bei Bastei-Lübbe betreute. Bei einer Zigarettenpause auf dem Verlagsdach fragte er mich, ob ich nichts in der Schublade hätte, was ich wiederbeleben könnte. Hatte ich. Ich schickte ihm den Waldmann, es folgten Exposé, weitere Textproben und schließlich ein Vertrag für eine Trilogie. Der Schreiber war glücklich und ist bis heute dankbar, damals in Ruggero Leòs Zigarettenpause gestolpert zu sein.
Danach nahm die Geschichte rasch Gestalt an: Aus der Wildnis seines Flusswaldes flieht Lasnic vor der Berufung zum Waldfürsten ins Hochgebirge jenseits des Ozeans, wo die Aristokratin Ayrin über ein hoch kultiviertes Bergreich regiert, in dem die Frauen das Sagen haben. Der raue Waldmann kommt erst einmal mächtig unter die Räder.
Den Rest kennen meine LeserInnen bereits – jedenfalls zur Hälfte.
Im Moment beende ich gerade das zweite Buch von Band 3, der im August erscheinen soll.

Vielen Dank für das tolle Interview! Es hat Spaß gemacht!
Die Nichtohnebuch-WG
Und falls wir Euch jetzt neugierig gemacht habe, Jashrin hat Kalypto - Die Herren der Wälder bereits gelesen und für Euch rezensiert.

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