- Erscheinungsdatum Erstausgabe : 23.03.2016
- Verlag : Diogenes
- ISBN: 9783257069662
- Fester Einband 736 Seiten
- Genre: Roman
Juan Diego ist
Schriftsteller und lebt seit 40 Jahren in den USA. Geboren wurde er allerdings
in Mexico. Er verbrachte seine Kindheit zusammen mit seiner Schwester Lupe als
Müllkippenkind. Die beiden Kinder bilden die perfekte Symbiose, sie ist
sprachbehindert, kann aber die Gedanken Anderer und auch ein bisschen die
Zukunft lesen und er versteht sie und übersetzt. Zusammen glauben sie an
Wunder, was sonst bleibt ihnen auch bei ihrem Dasein. Ihre Mutter kümmert sich
kaum, die Väter sind unbekannt.
Ein Wunder ist, dass Juan
sich selbst das Lesen beigebracht hat, mit Büchern, die er von den brennenden
Müllstapeln rettet (weshalb er Brandwunden an den Händen hat). Als die Jesuiten
das entdecken, versorgen sie ihn mit „richtiger“ Literatur, das Genie muss schließlich
gefördert werden.
Mit 14 hat Juan einen
Unfall, bei dem sein Bein verkrüppelt wird. Kurz darauf stirbt ihre Mutter,
also suchen die Kinder ihr Heil im Zirkus. Doch Lupe weiß (!): Juans Zukunft
liegt nicht in Mexico, nicht im Zirkus und so riskiert sie alles, um ihn in die
richtige Richtung zu stupsen ...
40 Jahre später macht sich
Juan auf eine Reise nach Manila, um eine alte Schuld zu begleichen und diese
Reise wird zugleich zu einer Reise in seine Vergangenheit, durch Träume und
Erinnerungen wird er in seine Kindheit zurückversetzt.
Ich hatte mich sehr auf John
Irvings neues Buch gefreut, weil ich ihn seit „Witwe für ein Jahr“ kenne und
verehre. Ein zusätzliches Schmankerl war noch, dass ich ein Ticket für die
Deutschlandpremiere von „Straße der Wunder“ in Berlin ergattern konnte und mich
die Lesung, seine ganze Art sehr beeindruckt hat. Er liest nicht nur vor, er
lebt die Szenen regelrecht. Irving ist sehr charismatisch – aber er schreibt ja
auch in seinen Büchern immer wieder, dass er vor allem von Frauen gelesen wird.
Ein zentraler Satz des Buches ist: „Es
sind die Frauen, die Lesen.“
Und Juan Diego scheint sein
Alter Ego zu sein. Schriftsteller, erfolgreich, von den Frauen verehrt: „Nur eingefleischte Fans erkennen ihn, vor
allem ältere Frauen und viele Studentinnen“. Außerdem lässt Irving ihn
„seine“ Bücher schreiben, unter anderen Titeln natürlich, aber man erkennt sie
wieder. Der Roman ist voller Anspielungen z.B. auf „Gottes Werk und Teufels
Beitrag“, „Zirkuskind“, „Die wilde Geschichte vom Wassertrinker“ und „Witwe für
ein Jahr“ ... Er erwähnt sogar seinen aktuellen Roman „Straße
der Wunder“ – das macht ihm so schnell keiner nach.
Außerdem schreibt er über
den Entstehungsprozess eines Romans an sich, die Figuren, deren Anlehnung an
die Wirklichkeit – alles extrem interessant. Deswegen fürchtete ich, dass es
sein letztes Buch ist, quasi die Abrechnung mit seinem Werk. Um so beruhigter
war ich, als er im Rahmen der Lesung erzählte, dass er schon die letzten Sätze
für 2 weitere Romane hat (er fängt immer mit dem letzten Satz an).
John Irvings Protagonisten
sind gewohnt skurril aber sehr liebenswert.
Der Junge Juan ist ein
Kämpfer, ein Genie; nicht ungläubig, aber er glaubt – sucht – Wunder, nicht
Religion. Seine Schwester Lupe hat seine Zukunft gesehen und will ihn in ihrem
Sinne beeinflussen, er soll nicht vom Weg abkommen, dafür riskiert sie viel.
Die Pater (Jesuiten) des
Waisenhauses, die ihn mit Büchern versorgen, reiben sich im Streitgespräch
immer wieder aneinander, halten aber zusammen, wenn es um die Kinder geht. Und
dann verliebt sich einer der beiden auch noch in den Transsexuellen Flor.
Irving spricht sich damit wieder gegen die sexuelle Diskriminierung aus.
Dann ist da noch das sehr
undurchsichtige Mutter-Tochter-Gespann Miriam und Dorothy, die plötzlich auftauchen
und wieder verschwinden. Sind sie real oder Geister, vielleicht sogar
Verkörperungen der Jungfrau Maria?! Das ist alles sehr mystisch. Die Mutter ist
edel, aristokratisch. Die Tochter eher bäuerlich. Beide verführen ihn. Miriam
erinnert mich an Marion Cole und Dorothy an Ruth.
Die Handlungsstränge
verschwimmen zwar etwas, verwirren mich aber nicht. Doch auch seine Kritiker
haben (leider) recht: Irving wiederholt sich. Er schreibt immer wieder über den
Glauben, die Kirche, Wunder und den Marienkult, aber auch über Geister und den
Tod, Juans Träume und seine „Experimente“ mit den Medikamenten. Dadurch ist
leider schnell klar ist, wie das Buch ausgehen wird. Aber er will ja auch, dass
seine Protagonisten vorhersehbar / begreifbar sind. Zudem hat man stellenweise
das Gefühl, im Geschichtsunterricht zu sitzen. Und es geht natürlich um Sex: in
seinen Büchern geht es immer auch um Sex.
Insgesamt hat mich die
„Straße der Wunder“ wieder sehr gut unterhalten. Irving ist ein Meister der
Schreibkunst. Er kann erzählen, fabulieren, unterhalten – auch über 770 Seiten.
Und letzten Endes möchte man keine davon missen. Abschließen möchte ich mit dem
Zitat: „Das Lesen Deiner Bücher hat mich
gerettet“.
4 von 5 Sternen.
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