Meisterliche Charakterstudien - durchhalten lohnt sich
von M. Karagatsis
Gebundene Ausgabe: 640 Seiten
Verlag: Verlag der Griechenland Zeitung - Hellasproducts GmbH; Auflage: 1 (20. Oktober 2016)
ISBN-13: 9783990210154
Genre: Roman
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Besitzgier ist die höchste Antriebskraft des Menschen, ihr ordnen sich letztlich Liebe, Mitgefühl, Ehrlichkeit und Moral stets unter. Diese These stellt zumindest der Anwalt und Literat Manos Tassakos im Hinblick auf sein neuestes Romanprojekt >Thesen< und >Antithesen< auf. Skrupellos und unbarmherzig versucht er die Richtigkeit seiner These zu beweisen. Dazu manipuliert er geschickt eine kleine Gruppe von Menschen und spinnt ein Netz aus Intrigen und Abhängigkeiten.
Am Ende des Romans hat sich das Leben seiner
Versuchskaninchen grundlegend verändert, und er selbst weilt nicht mehr unter
den Lebenden. Selbstmord. Mit diesem offiziellen Ergebnis wurde vor mehr als zehn
Jahren die Polizeiakte geschlossen.
Als dem Schriftsteller M. Karagatsis ein gelbes Dossier
überreicht wird, breiten sich vor ihm sämtliche Machenschaften von damals aus
und kaum eines der damaligen Geschehnisse bleibt verborgen. Doch kann das
Dossier auch helfen die rätselhaften Todesumstände des Herrn Tassakos endgültig
zu klären?
Hier setzt der Autor mit einer ebenso spannenden wie
genialen Idee an. Er selbst ist angeblich der Schriftsteller, dem das gelbe
Dossier in die Hände fällt und der somit zum Ermittler in seinem eigenen Roman
wird. Genauestens legt er uns alle Details vor, so wie er sie selber erfahren
hat, und berichtet uns, wie sich alles zutrug. Die Erklärung, wie das Dossier zu
ihm gelangte, und die Frage nach dem Selbstmord bilden eine Art Rahmenhandlung in
die die Geschichte um Manos Tassakos und die Familie Roussis eingebettet ist.
Manos Tassakos ist die Figur, die alle Fäden in der Hand
hält und ein intelligentes und durchdachtes Intrigenspiel beginnt. Er selbst
setzt sich über jegliche Moral hinweg, ist kalt, rücksichtslos und wenn ihn
Maria als Satan bezeichnet, so vermag ich dem nicht wirklich zu widersprechen.
Die Art, wie er seinen ehemaligen Meister Kostis Roussis, dessen Neffen Nikos,
Maria Petropoulou, Nikos Geliebte, sowie Miltos, zu seinen Zwecken steuert und
beeinflusst ist hochintelligent und perfide zugleich. Gespannt habe ich
verfolgt, wie seine Pläne sich entwickelten und ob jeder so agiert, wie er es
angenommen hat. Manos Tassakos ist mit Sicherheit kein sympathischer Charakter,
doch ein äußerst spannender Protagonist.
Kostis Roussis war in vielen Punkten und Ansichten sein
Gegenpart. Ein Mensch, dessen Genialität in seinem Umfeld unbestritten war, der
jedoch über weite Teile hinweg alles andere als ein Menschenfreund war und der
erstaunlich leicht zu Tassakos Spielball wurde. Auch ihn mochte ich nicht
wirklich, doch seine persönliche Geschichte und die Weise, wie er sich im Laufe
der Geschichte ändert, haben mich stellenweise trotzdem für ihn eingenommen.
Völlig anders Nikos, der für mich von Beginn bis Ende ein
Ekelpaket war und mit dem ich kein Mitleid empfinden konnte. Miltos blieb eher
etwas im Hintergrund, auch wenn ihm durchaus eine wichtige Rolle zukommt.
Zu Maria mag ich nicht allzu viel sagen, denn ich will nicht
zu viel vorwegnehmen. Nur so viel: hätte sie sich besser mit ihrer Armut
arrangieren können, wäre vieles nicht geschehen. Es treten auch einige Nebenfiguren
auf, vor allem der Chirurg Neseritis, doch der Großteil der Geschichte spielt
sich zwischen den beschriebenen Personen ab.
M. Karagatsis‘ gewaltiges Werk erschien in Griechenland
bereits 1956 und ich bin gespannt, wie es in Deutschland aufgenommen wird.
Voller Spannung habe ich mich an die Lektüre begeben, doch schon nach wenigen
Seiten war ich erst einmal ernüchtert. Die Geschichte war zwar von Beginn an
interessant, dennoch war etwa das erste Drittel für mich sehr mühselig - was
bei insgesamt 640 Seiten doch eine ganz schöne Menge ist. Etwa 200 Seiten lang
passiert nicht viel mehr, als dass die Charaktere und ihre Beziehungen
untereinander vorgestellt werden. Gespickt ist das Ganze mit vielen Gesprächen,
die sich öfters mal in philosophischen, moralischen, politischen oder
literarischen Gedankengängen verlieren. Da war ich doch des Öfteren versucht
einfach quer zu lesen. Doch mit der Entstehung des titelgebenden gelben
Dossiers wurde die Handlung zunehmend spannender und das Buch ließ sich
flüssiger lesen, sodass ich leichter vorwärtskam und in die Geschichte
eintauchen konnte.
Der Schreibstil ist eher nüchtern, beinahe so, als würde man
in der Tat lediglich Fakten aus einer Akte lesen. Erzählende Passagen nehmen
zwar den Hauptteil des Werkes ein, doch gerade einige Gespräche werden einfach
eins zu eins wiedergegeben:
„Ich: Sollen wir – zunächst einmal provisorisch – die Frage
gemeinsam untersuchen?
Neseritis: Sehr gerne.
Ich: Nehmen wir uns einmal...“ (Seite 618, 1. Auflage)
Daneben gibt es zum Beispiel auch Tagebucheinträge und
weitere Stilmittel. Dem Roman liegt also keine einheitliche Form zugrunde, was
vielleicht einige Leser stören wird. Für mich war es eher reizvoll.
Mein Fazit: Ein lesenswerter Roman, der dem Leser zwar einiges
abverlangt, dafür jedoch mit sehr detaillierten Charakterstudien aufwarten
kann. Der eigentliche Fall des Selbstmords steht zwar über allem, da der Roman
vor allem den Geschehnissen nachspürt, die zu Tassakos Tod führten, doch es ist
auch eine spannende psychologische Studie. Durchhalten lohnt sich.
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