ISBN : 9783809026792
Fester Einband : 752 Seiten
Verlag : Limes
Erscheinungsdatum : 10.09.2018
Genre : Historischer Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Gegen das Vergessen
In einer Wohnwagensiedlung
am Rand von Berlin leben 1935 die Kraftfrau Meta und ihr Partner, der
Röntgenkünstler Mathis, inmitten anderer ehemaliger Artisten. Fast alle haben
inzwischen Auftrittsverbot. Meta und Mathis kennen sich seit über 30 Jahren und
haben immer wieder versucht, den Sprung über den großen Teich nach Amerika zu
schaffen, doch jedes Mal ist etwas dazwischen gekommen. Auch jetzt geht die
Angst um, denn seit ihnen Blut für „Untersuchungen zu Züchtungskreisen von
Zigeunermischlingen und anderen asozialen Psychopathen“ abgenommen wurde, verschwinden
immer mehr Bewohner. Mathis ist der Einzige, der auf seine ganz eigene Art
rebelliert, indem er die Geschichten aller Artisten aufschreibt, die er noch
befragen kann. „Aber wir können doch nicht einfach nur dasitzen und wegsehen.“
(S. 54) Doch Meta hat Angst, dass ihnen dieses Buch irgendwann zum Verhängnis
wird, da auch ihre eigenen Geheimnisse darin stehen.
Vera Buck hat in
ihrem Buch ein Thema gewählt, dass mir bis dato relativ unbekannt war. Zwar
wusste ich, dass die Nationalsozialisten versucht haben, sich aller
„minderwertiger“ Menschen zu entledigen, aber mir war nicht klar, dass auch
Artisten und Schausteller in diese Sparte fielen, egal welcher Abstammung sie
waren.
In einer zweiten
Zeitebene erzählt sie Mathis Werdegang und die Geschichten seiner Weggefährten.
Er ist der dreizehnte Sohn eines Bohnenbauern, hat ein durch Kinderlähmung
verkrüppeltes Bein und war zu Hause und in seinem Dorf der Prügelknabe. Er hat
keine Träume, bis er auf dem Jahrmarkt einen Röntgenapparat und dessen Besitzer
entdeckt: „Es war, als öffnete der Apparat ein Fenster, durch das er in ein
zweites Universum blicken konnte. Eines, in dem nichts verschlossen blieb,
keine Tür und kein Körper.“ (S. 68) Erst als „Röntgen-Assistent“ blüht
er auf, fühlt sich endlich als ganzer Mensch und nicht mehr als Krüppel. Dass
die Röntgenstrahlen fatale Nebenwirkungen haben, wird ihm erst spät klar.
Meta war ein
Waisenkind, die sich schon früh ihr Haut erwehren und um ihren geistig
behinderten Bruder Ernsti kümmern musste. Dabei hat sie unglaubliche Kräfte
entwickelt. Wenn sie nicht gerade trainiert oder auftritt, dreht sich ihr Leben
fast ausschließlich Ernsti. Dessen Bedürfnisse stehen immer an erster Stelle,
ihre oder Mathis an zweiter.
Die Autorin lässt
einerseits eine sehr skurrile, bunte Welt lebendig werden, in der
Röntgenapparate der Unterhaltung dienen, sich Artisten mit Kanonenkugeln
beschießen lassen und Menschen fremder Kulturen oder Kleinwüchsige wie Vieh
ausgestellt werden. Aber sie zeigt auch, dass die Künstler zusammenhalten, erst
Recht, nachdem die Nazis an die Macht kommen. Vera Buck beschönigt nichts. Sie
erzählt was passiert, wenn die Menschen doch aufgegriffen werden, in Lager
verbracht, zwangssterilisiert oder mit Medikamenten ruhig gestellt. Schonungslos
beschreibt sie die Gewaltorgien bei den Festnahmen und Verhören, die
Machtdemonstrationen der Überlegenen.
Das Buch hat mich
sehr berührt, gefesselt, erschüttert und aufgewühlt. Ich habe die 750 Seiten
innerhalb von zwei nur Tagen gelesen. Es ist wichtig, dass immer wieder darauf
hingewiesen wird, was damals alles passiert ist, denn: „Ohne Geschichte gibt es keine
Zukunft. ... Wenn wir die Vergangenheit vergessen, sind wir gezwungen, sie zu
wiederholen. Und dann ist alles umsonst passiert.“ (S. 185)
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