ISBN : 9783453272125
Fester Einband : 400 Seiten
Verlag : Heyne
Erscheinungsdatum : 18.03.2019
Genre : Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG): Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Leseexemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Relikte einer alten Zeit
Eigentlich bin ich ja nicht
so leicht zu beeinflussen, aber als der Heyne Verlag Vorableser für „Das Haus
der Verlassenen“ von Emily Gunnis suchte (mit dem dezenten Hinweis, dass es in
England schon über 800 Rezensionen auf Amazon hat), bin ich ziemlich schnell
schwach geworden. Zumal der Klappentext und auch die Leseprobe meine Neugier
bereits angestachelt hatten.
Alles beginnt 1959 mit einem
Brief, den Ivy der 8jährigenn Elvira auf der Flucht aus dem St. Margaret's Heim
für ledige Mütter mitgibt. Darin steht u.a., dass Elvira eine
Zwillingsschwester – Kitty – hat und wo
diese lebt.
Fast 60 Jahre später ist
Elviras Zwillingsschwester Kitty berühmt. Sie hatte 20 Jahre lang eine Talkshow
im Fernsehen, zieht sich aber gerade aus der Öffentlichkeit zurück. „Menschen
faszinieren mich. Was sie von sich zeigen, ist meist nicht das, was sie im
Innersten bewegt.“ „Natürlich bin ich traurig, diese wunderbare
Bühne zu verlassen, aber ich gehe lieber freiwillig, als dass ich hinunter
gestoßen werde.“(S. 31)
Parallel dazu findet die
Journalistin Samantha unter den Unterlagen ihres verstorbenen Großvaters einen
anderen Brief von Ivy von 1956, in dem sie den Vater ihres Kindes anfleht, sie
zu heiraten. Nach und nach findet Samantha noch weitere Briefe Ivys. Woher
hatte Samanthas Großvater diese?! Sie beginnt zu recherchieren und stößt auf Ivys
Geschichte und die des St. Margaret's. Außerdem stolpert sie über das
Verschwinden des ehemaligen Priesters des Heimes im Jahr 2000 und dem Fund
seiner Leiche 2016 ...
Ich fand bereits den Einstieg
in das Buch erschütternd. Die Art und Weise, wie Ivy Elvira zur Flucht verhilft
und ihr eigenes Leiden im St. Margaret´s beendet ist sehr extrem und zeigt, wie
groß ihre Verzweiflung gewesen sein muss. Die Nonnen gingen ziemlich brutal mit
den ledigen Schwangeren, aber auch den Babys und Kleinkindern um. Das Leben der
Heimbewohner war von harter Arbeit, Schweigen und Angst geprägt. Durch Ivys
Briefe erfährt der Leser ihren jeweiligen Gemütszustand ungefiltert aus erster
Hand.„Ich weiß nicht mal, ob Du meine Briefe überhaupt liest, aber ich kann
Dich nicht loslassen. Wenn Du mich noch liebst, dann hole mich bitte hier weg.“
(S. 119)
Samantha und ihr Mann legen
gerade eine Beziehungspause ein. Ihm passt nicht, dass sie als Journalistin so
viel arbeitet. Also zieht sie mit ihrer Tochter zu ihrer Großmutter. Ihr Kind
jetzt allein aufzuziehen ist für Samantha zwar auch schwer, heute aber fast
selbstverständlich. Zu Ivys Zeiten hingegen wurde den unverheirateten
Schwangeren erzählt, dass es unmöglich ist. Sie wurden in Heime wie das St.
Margaret´s abgeschoben und zur Adoptionsfreigabe ihrer Babys gezwungen.
Bücher, die auf mehreren
Zeitebenen spielen und deren Fäden oft erst am Ende verknüpft werden, sind immer
wieder spannend. Hier kommt noch das besondere Setting dazu – ein altes Haus
(das St. Margaret's), dass schon vor 60 Jahren eine unheimliche Aura umgab: „Von
Weitem sah es aus wie ein verbranntes Pfefferkuchenhaus ...“ (S. 53).
Genau dieses Haus soll jetzt abgerissen werden. Nachdem Samantha Ivys Briefe
gelesen hat, will sie sich selbst ein Bild von dem Haus machen. „Dieser
Ort ist total verrückt. Man hat das Gefühl, die Mädchen seien hier immer noch
gefangen.“ (S. 75) Ihr journalistischer Ehrgeiz ist geweckt.
Das Buch wechselt
kapitelweise zwischen den verschiedenen Zeitsträngen und ich musste mich beim
Lesen sehr konzentrieren, um die Handlung immer wieder einordnen zu können. Die
Beziehungsgeflechte unter den Protagonisten sind ziemlich komplex und zum Teil
verwirrend, auch wenn mir schon recht früh klar war, was mit Kitty und Elvira
passiert ist. Trotzdem blieb die Spannung bis zur endgültigen Aufklärung am
Ende erhalten. Im Großen und Ganzen hat es mir sehr gut gefallen, nur das Ende
fand ich etwas überstürzt und nicht ganz logisch.
Am meisten erschüttert haben
mich die Szenen im St. Margaret´s. Sie klingen, wie aus dieser Zeit gefallen,
als wären sie nicht in den 1950ern sondern Jahrzehnte früher passiert. Ich
konnte mir kaum vorstellen, dass eine solche Vorgehensweise zu dieser relativ
modernen Zeit noch möglich und üblich war.
Ich würde den Roman eher als
Krimi oder fast schon Thriller einordnen.
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