ISBN : 9783959672474
Fester Einband : 400 Seiten
Verlag : HarperCollins
Erscheinungsdatum : 01.03.2019
Genre : (Historischer) Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Endstation Hoffnung
73 Jahre
hat Familie Dressel im Hotel Waldeshöh
im Dressels Forst gewohnt. Das kleine
Hotel mitten im Wald in der Nähe des Rennsteiges beherbergte zuerst gutbetuchte
Kurgäste und bot im 2. WK Frankfurter Schülern einen sicheren Unterschlupf. Nach
1945 durften nur noch die Dressels dort wohnen. Das Haus lag jetzt in einer
militärischen Sperrzone. Aber jede Woche putzten die Frauen der Familie die
Gästezimmer in der Hoffnung, dass bald wieder Wanderer oder FDGB-Urlauber zu
ihnen kommen. 32 Jahre lang. Bis 1977.
Als Milla
2017 auf dem Gebiet der ehemaligen innerdeutschen Grenze auf der Suche nach
einem Lost Place (verlassenen Ort) eine unter Schutt begrabene Falltür
entdeckt, kann sie nicht widerstehen und öffnet diese. Sie ist überrascht, als
sie einen komplett eingerichteten Keller entdeckt und den Hinweis, dass er
früher zum Hotel Waldeshöh gehörte.
Sie findet u.a. Schulhefte von Andreas und Christine Dressel, die letzten sind auf
1977 datiert. Was ist damals passiert? Milla ist von dieser Frage und dem
verwunschen wirkenden Ort so fasziniert, dass sie Christine ausfindig macht und
von ihrem Fund erzählt. Aber Christine will den Ort nicht sehen: „Ich
kann dort nicht mehr hin. Es ist noch in meinem Kopf, so wie es davor war. Und
das will ich nicht ändern.“ (S. 85)
Abwechselnd
erzählt Kati Naumann die Geschichte der Dressels von 1945 bis 1977 und Millas Bestreben,
ihnen nachträglich zu Gerechtigkeit zu verhelfen. Denn diese versuchen seit der
Wende erfolglos, Dressels Forst
zurückzubekommen. Obwohl Milla und Christine sehr verschieden sind – immerhin trennt
sie eine ganze Generation und eine unterschiedliche Vergangenheit – verstehen
sie sich gut.
Milla
fühlt sich verloren, seit der Vater ihres Sohnes sie verließ. Damals fing sie
an, Lost Places zu suchen. An ihnen fühlt sie, dass sie nicht die Einzige ist,
die verlassen wurde. Außerdem sie trennt sie sich seither regelmäßig von
Dingen, die sie nicht mehr braucht – auch von unliebsamen Erinnerungen.
Christine
hingegen hat ein ganzes Zimmer voller Unterlagen der Familie, die bis 1904
zurückreichen. Ein Zimmer voller Andenken. „Ich glaub, ich könnte mit all
diesen Erinnerungen nicht leben.“ „Und ich vermutlich nicht ohne sie.“
(S. 227)
Durch das
gemeinsame Aufarbeiten der Familiengeschichte ändert sich ihre jeweilige Sicht
auf das Leben und bringt ein lang gehütetes Geheimnis ans Licht.
Da ich
selber in der DDR aufgewachsen bin, war ich sehr neugierig auf das Buch. Mir
war bis jetzt nicht wirklich bewusst, dass die innerdeutsche Grenze am
Rennsteig verlief und jahrzehntelang ein recht großer Teil militärisches
Sperrgebiet war.
Von
Beginn an entwickelt das Buch einen unglaublichen Sog. Kati Naumann schreibt
sehr komplex und verwendet eine dichte Erzählsprache.
Ich war
fasziniert von der Familiengeschichte, wie die Dressels all die Jahre allein da
oben im Wald ausharren und hoffen, obwohl sie immer größeren Repressalien
ausgesetzt werden. Am Anfang dürfen sie noch Besuch von Freunden bekommen, bald
brauchen sie selbst einen Passierschein, um das Gelände zu betreten oder zu
verlassen. Ihnen wird das Telefon abgestellt, der Krankenwagen darf nicht mehr
zu ihnen hochfahren, die Post müssen sie sich 8 km entfernt im nächsten Ort
abholen. Sie stehen unter der dauernden Beobachtung der Grenzsoldaten. Auf
ihren jahrzehntealten Wegen werden Stolperdrähte gespannt, damit sie nur den
Hauptweg benutzen. Sie hören nachts immer wieder Schüsse, hochgehende Mienen,
Schreie – und wissen nie, ob es ein Reh erwischt hat oder einen Republikflüchtling.
„Du kannst Niemanden halten, der nicht bleiben will. Nicht mit Liebe und
auch nicht mit Stacheldraht und Tretminen.“ (S. 343)
Ich
glaube nicht, dass ich das ausgehalten hätte.
Aber sie
lieben ihren Wald. Dressels Forst ist ihre Heimat, ihre Wurzel. Sie leben sehr
naturverbunden, halten zusammen und hoffen, dass sie das Waldeshöh wieder als Hotel betreiben können. Um diese Hoffnung und
den Zusammenhalt habe ich sie beneidet.
Das Buch
ist sehr emotional und aufwühlend. Ich hatte beim Lesen immer wieder
Beklemmungsgefühle und musste es kurz aus der Hand legen, über das Gelesene nachdenken.
Ich weiß nicht, ob ich so hätte leben können oder wollen. Allein im Wald, und
doch gefangen, nur an einer Stelle ein Schlagbaum als Tor zum Rest der Republik.
Ihre
Devise hieß: Nur nicht auffallen. Und trotzdem kam immer wieder die Angst hoch,
dass man ihnen diese Heimat doch noch wegnimmt.
Ich habe
mich beim Lesen an vieles erinnert, was ich zum Teil ganz hinten im Gedächtnis
vergraben hatte – wie man sich verhalten musste, was man wem sagen durfte und
was nicht, welche Kleidung in der Schule verboten war und welche ausdrücklich
erwünscht. Nur die Westpäckchen kenne ich leider nicht aus eigener Erfahrung.
Sehr
gefallen hat mir Kati Naumanns poetische Sprache. Einer meiner Lieblingssätze
ist: „Sie schob ihre Füße unter das Laub, als wären es Wurzeln, und blieb
für einige Zeit unbeweglich, wie einer der Bäume.“ (S. 13)
„Was uns
erinnern lässt“ ist eines der Bücher, das noch lange in mir nachhallen wird.
Eine sehr emotionale und poetische Geschichte über ein wichtiges Stück
verdrängte DDR-Geschichte. #gegendasvergessen
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