ISBN : 9783352009358
Fester Einband : 475 Seiten
Verlag : Rütten & Loening Berlin
Erscheinungsdatum : 08.11.2019
Genre : Historischer Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Hinter
jedem starken Mann steht eine starke Frau
„Sekretär/Sekretärin:
eine Person, der man ein Geheimnis anvertraut. Vom Lateinischen secretus,
secreta, secretum. Wir alle tippten, aber einige von uns taten mehr.“
(S. 19)
Irina bewirbt
sich 1956 in einem unauffälligen Büro in einem unscheinbaren Haus, irgendwo in Washington
D.C. – aber es ist nicht irgendein Büro, sondern die Agency, der CIA. Hinter
identischen Schreibmaschinen an identischen Arbeitsplätzen sitzen Frauen, die
die beste Schulbildung genossen und studiert haben. Die Älteren von ihnen waren
im 2. WK u.a. als Spione im Einsatz, aber jetzt werden sie nur noch als
Stenotypistinnen gebraucht. „Dieselben Finger, die früher einmal den
Abzug betätigt hatten, schienen nun besser für die Schreibmaschinen geeignet zu
sein.“ (S. 15) Irina ist die Tochter russischer Einwanderer, allerdings
hat ihr Vater es nie nach Amerika geschafft. Darum ist sie auch sofort bereit,
sich in der Agency abends nach der offiziellen Arbeit für die Aktion „AEDINOSAUR“
ausbilden zu lassen …
Moskau, 6 Jahre
zuvor: Olga ist Redakteurin bei einer Literaturzeitschrift, zweifache Witwe, zweifache
Mutter und die Geliebte von Boris Pasternak. Sie ist das Vorbild für die Lara
in „Dr. Shiwago“, an dem er gerade schreibt. Im kleinen Kreis liest er immer
wieder Szenen aus dem Buch vor und auch die Regierung will unbedingt wissen,
worum es darin geht. Sie verhaften Olga und verurteilen sie zu 5 Jahren Gulag (Arbeits-
und Umerziehungslager) um ihren Willen brechen und sie zum Reden bringen, doch Olga
schweigt.
Als „das Buch“
1956 endlich fertig ist, findet sich in Russland kein Verleger. Aber Giangiacomo Feltrinelli kann Pasternak
die Rechte für Italien abkaufen. „Möge das Buch seinen Weg um die
Welt antreten.“ (S. 202). Auch der CIA hat großes Interesse. Amerika
möchte verbotene Bücher nach Russland schmuggeln, um die Bevölkerung
aufzurütteln und über die Einflussnahme und Bevormundung ihrer eigenen
Regierung aufzuklären.
Ich muss
ehrlich zugeben, dass ich Dr. Shiwago nie gelesen habe und darum ganz
unvoreingenommen an die Geschichte herangegangen bin. Lara Prescott erzählt
parallel von Olgas und Boris Liebe, ihrem Leben in der UdSSR, dem Entstehen von
Dr. Shiwago und von der Arbeit (der Stenotypistinnen) der CIA, insbesondere von
Irina und ihrer Ausbilderin Sally.
Es ist die
Geschichte der Frauen im Hintergrund. Man nimmt sie nicht wahr, aber sie bekommen
alles mit und ziehen oft die Fäden. Doch den Ruhm ernten die Männer, dafür gehen
sie sprichwörtlich über die Leichen der Frauen und (be)nutzen sie. Das wird bei
den Sekretärinnen des CIA überdeutlich. Aber auch Olga steht immer hinter Boris,
unterstützt ihn, sucht widerholt das Gespräch mit der Regierung und der Partei
und warnt ihn, denn sie hat Angst. „Wenn der Westen das Buch ohne
Erlaubnis der UdSSR veröffentlichen würden, dann würde sie ihn holen kommen –
und mich dazu. Und diesmal würden man einen Aufenthalt von wenigen Jahren in
einem Arbeitslager wohl kaum als ausreichende Strafe ansehen.“ (S. 210)
Olga war mir nicht immer sympathisch, erschien
manchmal zu berechnend. Ja, sie hat ihren Beruf für Boris aufgegeben und ist in
den Gulag gegangen, um ihn zu schützen. Ja, sie erwartet nicht, dass er sich
scheiden lässt um sie zu heiraten. Andererseits fordert sie Unterstützung von
ihm ein – als Wiedergutmachung? Und sie lässt ihre Kinder bei ihrer Mutter. Olga
ist auf jeden Fall eine Frau, die polarisiert und es dem Leser nicht leicht
macht.
Irina hingegen hat mich sofort fasziniert.
Nach außen ist sie die unauffällige Tippse, die Neue im Büro, die sich aus
allem raushält. Sie hält sich selber für nichts Besonderes und ist überrascht,
dass ihre Vorgesetzten mehr in ihr sehen. Die Arbeit als Spionin, der
Adrenalinkick gefallen ihr extrem gut. Außerdem findet sie ausgerechnet in der
Agency ihre große Liebe – aber kann sie die auch (aus-)leben?
Auch Boris
Pasternak kommt bei Lara Prescott nicht ganz so gut weg. Er erscheint sehr
wankelmütig und versucht immer, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Er
ändert seine Entscheidungen mehrfach und verletzt Olga damit. „Das Buch
war ihm sogar wichtiger als das eigene Leben. Es kam an erster Stelle, und das
würde auch immer so bleiben, und ich fühlte mich wie eine Närrin, dass ich es
nicht früher begriffen hatte.“ (S. 334) Außerdem wird deutlich, wieviel
besser er als einer von Stalins Privilegierten gegenüber den „normalen Menschen“
in der UdSSR lebt.
Wenn ich das
Buch in ein Genre einordnen müsste, würde ich es als Spionageroman bezeichnen.
Die Autorin vermittelt sehr geschickt die angespannte politische Situation in
der UdSSR, den Wettlauf mit der USA um technische Errungenschaften wie den
ersten Flug zum Mond, und hat mich damit bis zum Ende gefesselt. Dazu kommen
die beiden großen, nicht immer glücklichen Liebesgeschichten, die mich sehr
bewegt haben.
Mir ging es wie
einigen anderen Lesern, und ich habe das Buch zwischendurch immer wieder aus
der Hand legen müssen, um die Handlung sacken zu lassen. „Alles, was wir sind“
ist für mich definitiv ein weiteres Jahreshighlight.
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