ISBN : 9783423262552
Flexibler Einband : 400 Seiten
Verlag : dtv Verlagsgesellschaft
Erscheinungsdatum : 24.07.2020
Genre : Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde uns ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Vorab Hinweis: Zwar wurde uns ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Die
Wahrheit
1973 will Ricarda
in der Dresdner Frauenklinik ihr Kind entbinden. Da es bei der Geburt Probleme
gibt, spritzt ihr der Arzt etwas und sie dämmert weg. Als sie wieder aufwacht
wird ihr gesagt, dass das Kind eine Totgeburt war. Das Brisante dabei ist, dass
der Arzt ihr Vater und schon die ganze Zeit gegen das Kind gewesen ist. Ricarda
bekommt den Leichnam ihres Babys nicht zu sehen und kann darum nicht an dessen
Tod glauben. Sie ist überzeugt, dass ihr Vater ihr das Baby weggenommen hat und
will das beweisen.
Zufällig
erfährt der junge Kriminalpolizist Thomas Rust davon, dessen Frau wegen
Schwangerschaftsproblemen auf der gleichen Station liegt. Ihm ist in der
bewussten Nacht ein Auto mit Berliner Kennzeichen aufgefallen, das am
Hinterausgang der Klinik wartete. Rust ist sehr ambitioniert und hat das
Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt. In Absprache mit seinem Vorgesetzten und
dem seines Stasi-Führungsoffiziers beginnt er nachzuforschen und bringt damit
sich, seine Frau und sein ungeborenes Kind in Lebensgefahr.
1989 versucht
die 16jährige Claudia Behling mit einer Gruppe Gleichaltriger aus einer Laune
und erster Verliebtheit heraus über die tschechische Grenze und Ungarn nach
Österreich zu kommen. Sie wird erwischt und zu ihren Eltern zurückgebracht, danach
erfährt sie, dass sie adoptiert wurde. „Es kam ihr vor, als wäre ihr
bisheriges Leben nur eine Projektion, als wäre sie nur eine Statistin in einem
Film. … Und sie war gefangen in dieser Familie, in diesem Haus, in dieser Welt.“
(S. 66) Als im Herbst die Grenze öffnet, packt sie ihre Sachen und
verschwindet.
Frank Goldammer
zeigt das schwierige Leben der Menschen in der DDR, das oft einem Balanceakt oder
Versteckspiel gleicht, und wie es ihnen nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung
ergeht. Sie werden abgewickelt, genau wie ihre ehemaligen Betriebe, und fühlen
sich oft als Menschen 2. Klasse.
Man spürt den
Schmerz, die Aussichtlosigkeit und Hoffnungslosigkeit seiner Figuren sehr
direkt. Ich habe mit Ricarda, Claudia und Rust mit gefiebert und gelitten.
Vor allem die
beiden Frauen taten mir unglaublich leid.
Obwohl Ricardas
Eltern und ihr Mann ihr immer wieder versichern, dass es kein Kind gibt,
verbringt sie die nächsten 20 Jahre mit der Suche nach ihm, zerstört damit ihre
Ehe und verliert fast alle Freunde. „So eine Suche kann ganz schön einsam
machen.“ (S. 317) Sie findet auch immer wieder Indizien, aber nie
Beweise, nie das Kind, also glaubt ihr auch niemand. Im Gegenteil, man hält sie
für verrückt und macht ihr das Leben schwer. Sie ist zu unbequem für den Staat
und ihren Vorzeigevater, den berühmten Frauenarzt mit Veröffentlichungen und
Reisen in den Westen.
Claudia geht es
ähnlich. Sie hält den Leistungsdruck und die Enge zu Hause nicht mehr aus. Ihr
Vater ist ein hoher Partei- und Stasifunktionär, die Anforderungen an sie sind extrem
hoch. Vor allem ihre Mutter macht es ihr nie leicht. Um sie endgültig zu
strafen, vernichteten ihre Eltern alle Adoptionsunterlagen, nachdem sie es ihr
gesagt haben. Auch Claudia sucht jahrzehntelang erfolglos nach ihrer leiblichen
Mutter und muss immer wieder Rückschläge einstecken. „Immer, wenn ich
denke, ich bin einen Schritt weiter, laufe ich wieder nur ins Leere.“
(S. 329)
Thomas Rust ist
eine sehr ambivalente Persönlichkeit, extrem wandelbar. Man ist sich nie
sicher, auf welcher Seite er eigentlich steht und was er bezweckt. Zu Beginn
ist er 100%ig von der DDR überzeugt, aber je tiefer er sich in den
Nachforschungen verstrickt, desto mehr zweifelt er am System und an allem woran
er bisher geglaubt hat. Trotzdem lässt er sich nie richtig in die Karten gucken
– eine wirklich spannende Persönlichkeit.
Seit dem
„Angstmann“ bin ich ein großer Fan von Frank Goldammer und auch bei „Zwei
Fremde Leben“ hatte er mich von der ersten Seite an gepackt. Er beschäftigt
sich mit dem Thema Kindesentzug und Zwangsadoption in der DDR, gesteuert von
der Stasi und der Regierung. Geschickt wechselt er zwischen den Zeitsträngen
und Personen, heizt die Neugier des Lesers immer mehr an, fesselt ihn ans Buch.
Ich hatte lange keine so große Sogwirkung mehr bei einem Roman und habe ihn an
nur einem Tag am Stück gelesen – er war spannender als mancher Krimi!
Auch das
Setting des Buches übt einen ganz besonderen Reiz auf mich aus, da ich als gebürtige
Dresdnerin die beschriebenen Orte ganz genau kenne.
5 Sterne und
meine Leseempfehlung für dieses Highlight!
6 Kommentare:
Schöne Rezension. Gut heraus gearbeitete Hauptfiguren. Nur dass Ricarda so unbequem nicht rüberkam. Sie wurde ja eher als gestört angesehen.
Liebe Hasirasi , ein Thema welches mich auch fasziniert und interessiert und ich glaube dir gern, dass diese Lektüre spannender als ein Krimi ist. Mich interessiert die Geschichte der ehemaligen DDR sehr, zumal ich im zarten Alter im Jahr 1957 das Land verlassen sollte, musste - wie auch immer. History ist immer spannend. Danke für die tolle Rezension!
LG Angela
Danke für das Lob und zu Ricarda - man empfindet die Figuren beim Lesen ja nicht immer gleich.
Liebe Angela, dann weißt Du ja sicher nicht mehr so viel von der DDR. Mein Bruder 2,5 Jahre nach mir (als 1977) geboren, hat auch kaum noch Erinnerungen an diese Zeit. Und Danke für das Lob *erröt*
LG Hasi
Ich weiss sehr viel, dank den ausführlichen Erzählungen meiner Familie im *Westen* und *Osten*. Ausserdem war ich ich das erstemal ab 10 Jahren bewusst dort regelmässig bei den Verwandten :-) ! Habe nun das Buch auf dem Reader, lese es für mich abends und werde es aber nicht rezensieren.....
GLG Angela
Oh, obwohl ihr ausreisen musstet durftet ihr die DDR besuchen? Das habe ich so auch noch nicht gehört. Viel Spaß mit dem Buch.
GLG Hasi
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