Mittwoch, 16. September 2020

Der geheime Code der Frauen

 


ISBN : 9783352009488
Flexibler Einband : 528 Seiten
Verlag : Rütten & Loening Berlin
Erscheinungsdatum : 18.08.2020
Genre : Historischer Roman
 

Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde uns ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.


Stunde Null

 

London Ende 1945: Edith Graham ist Mitte 30, alleinstehend und Deutschlehrerin. Als Lehrer gesucht werden, die das deutsche Schulsystem wiederaufbauen, meldet sie sich sofort. Kurz vor ihrer Abreise nach Lübeck bittet ihr Cousin Leo, der beim Geheimdienst arbeitet, sie um einen Gefallen. Edith war vor dem Krieg mit dem deutschen Arzt von Kurt von Stavenow liiert. Der wird jetzt als Kriegsverbrecher gesucht, da er für das Euthanasieprogramm der Nazis geforscht hat. Man vermutet, dass seine Frau von Ostpreußen nach Lübeck zu Verwandten geflüchtet ist und er sich bei ihr melden wird. Sie waren damals alle befreundet und Edith soll die Freundschaft wiederaufleben lassen, um so vielleicht etwas über Kurts Aufenthaltsort zu erfahren.

Ihre Freundin Dori, eine ungarische Jüdin und Spionin, warnt Edith: … pass auf, worauf du dich einlässt. Leo ist ein gerissener Kerl und du bist unerfahren. Er hätte dich da nicht reinziehen sollen.“ (S. 60) Sie bittet Edith, ihr die gleichen Informationen zukommen zu lassen wie ihm. Edith soll die Nachrichten natürlich codieren. Und als sie in ein einem Antiquariat ein altes Kochbuch entdeckt, hat sie die zündende Idee – was ist unauffälliger als zwei Frauen, die Rezepte tauschen?!

 

Egal, wie viele Bücher ich schon über die Kriegsverbrechen im 2. WK und ihre Aufarbeitung gelesen habe, ich bin immer wieder erschüttert. Dabei verpackt Celia Rees ihre Story relativ harmlos. Edith ist eine unauffällige Frau in den besten Jahren, hervorragend ausgebildet, die unter dem Radar der meisten Männer bleibt, bis sie sich zurechtmacht. Sie ist sehr mitfühlend und enthusiastisch, will den Kindern wirklich helfen, stolpert aber immer wieder über Ungerechtigkeiten. Es fängt schon damit an, dass die Besatzer Nahrungsmittel im Überfluss haben, aber die Deutschen (ver)hungern lassen. Lübeck wurde fast vollständig zerstört. Es gibt keine Schulgebäude mehr, Heizmittel, Nahrungsmittel, Kleider oder Schuhe für die Kinder. Viele sind Waisen, kennen nur den Krieg. „Es kommt mir … so aussichtslos vor ...“ (S. 172) Außerdem werden Juden und Flüchtlinge von den Deutschen weiterhin diskriminiert, viele glauben nicht an Hitlers Tod und warten auf seine Wiederkehr.

 

Edith lernt schnell weitere Agenten kennen und gerät zwischen die Fronten. Sie will das Richtige tun und ihre Informationen über von Stavenow demjenigen übergeben, der ihn auch wirklich vor ein Kriegsverbrechertribunal bringt. Denn sie hat herausgefunden, dass es den Siegermächten gar nicht mehr um die Verurteilung der Täter geht, sondern darum, wer sich die meisten Wissenschaftler und damit deren Erkenntnisse sichert. „Es geht nicht um Bestrafung, nicht einmal um Rache. Die Reparationsleistungen werden in Form von Menschen geleistet. Eine Art Menschenplünderung.“ (S. 63/64) Die nächste Gefahr, der kalte Krieg, zeichnet sich bereits am Horizont ab und „Krieg ist nicht länger eine Angelegenheit von Armeen, es geht darum, wie viele Menschen man töten kann.“ (S. 344) Aber wem kann sie noch trauen? Jeder scheint sein eigenes Süppchen zu kochen, zwei- oder dreigleisig zu fahren. Sie wird zum Spielball der verschiedenen Mächte und hofft, dass wenigstens Dori kein falsches Spiel mit ihr treibt.

 

Celia Rees rüttelt den Leser auf. Fast alle Agenten, mit denen Edith zu tun hat, haben im Krieg Schlimmes erlebt, sind oft selbst Vertriebene, Ausgegrenzte, mussten als U-Boote leben und grausame Massaker mit ansehen, haben oft nur knapp überlebt. Jetzt wollen sie Rache, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung oder suchen nach verschollenen Freunden und Kollegen.

Ich fand erschreckend, dass nationalsozialistischen Wissenschaftler auch nach dem Exodus von Millionen immer noch hinter ihrer Ideologie standen und kein Unrechtsbewusstsein entwickelt hatten und Alliierte diese Forschungen zwar als grausam und Unrecht ansahen, sie aber die Ergebnisse nicht verschwenden, sondern für ihre Zwecke nutzen wollten – abstoßend.

 

„Der geheime Code der Frauen“ ist ein Spionagethriller der Extraklasse. Celia Rees spielt mit den Erwartungen des Lesers Katz und Maus, hält den Spannungsbogen bis zum Ende und hat einige extrem überraschende Wendungen parat. #gegendasvergessen

 

Keine Kommentare: