Samstag, 19. November 2022

Café Leben

 


ISBN : 9783426282809
Gebundenes Buch : 320 Seiten
Verlag : Droemer
Erscheinungsdatum : 02.11.2022
Genre : Roman 
 

Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
 
 
 

Projekt Lebensbuch

 

Ich bin aus verschiedenen Gründen für die Stelle geeignet. Erstens neige ich nicht zu Gefühlsausbrüchen oder Sentimentalität. Zweitens besitze ich ausgezeichnete Qualifikationen im Büromanagement und bin somit gut gerüstet, um die Lebensgeschichten rechtzeitig zu verschriftlichen, bevor die Betroffenen sterben. Drittens mag ich es, eine Deadline zu haben.“ (S. 12) Mit diesen Worten bewirbt sich Henrietta in der Beratungsambulanz eines Krebszentrums. Ihre Aufgabe wird es sein, zusammen mit den Patienten in nur 6 Sitzungen á 1 Stunde deren Leben aufzuschreiben und daraus ein Buch für die Hinterbliebenen zu machen. Dafür gibt es einen Vordruck, aber schon Henriettas erste Patientin Annie macht ihr klar, dass ihre Erinnerungen nicht in das starre Gefüge des Formulars passen. „Wenn du auf dein Leben zurückschaust, dann hat es keine geordnete Form. Es sind eher Schnappschüsse, wie in einem Fotoalbum. Und manchmal fällt es schwer, sich an die Teile dazwischen zu erinnern, daran, was in dem Moment passiert ist, bevor das Foto aufgenommen wurde, oder gleich danach.“ (S. 50) Dann rattert sie ihre Geschichte herunter und erwähnt kurz, dass ihre jüngere Schwester Kathy vor 46 Jahren mit gerade mal 18 verschwand und kurz darauf für tot erklärt wurde, weil es keine verwertbaren Spuren gab. Henrietta wird hellhörig und forscht nach, wobei es ihr zu Beginn gar nicht mal darum geht, die Lücke zu füllen, die Kathys Verschwinden in Annies Leben gerissen hat, sondern darum, das Lebensbuch abzurunden – sie mag einfach keine Leerstellen.

 

„Café Leben“ von Jo Leevers ist aufgrund der tragischen Schicksale der drei Frauen ein sehr berührendes Buch voller unausgesprochener Vermutungen, Wahrheiten und dunkler Geheimnisse. Denn nicht nur Annie und Kathy, auch Henrietta hatte es bisher nicht leicht im Leben, dabei ist sie gerade mal Anfang 30. Sie lebt mit ihrem Hund sehr zurückgezogen und beschränkt die Kontakte zu anderen Menschen auf das absolut Notwendigste. Ich habe lange überlegt, ob sie evtl. eine Bindungsstörung hat, da sie sich nicht auf andere einlassen und Gefühle zeigen kann (ihr Gesicht ist eine unbewegte Maske). Aber im Laufe der Handlung wird klar, dass sie so erzogen wurde, ihre Eltern ihr das genauso vorleben und sie für einen Vorfall in ihrer Kindheit verantwortlich machen bzw. sogar bestrafen …

Annie scheint das ganze Gegenteil zu sein, will auffallen und Spuren hinterlassen, selbst wenn es nur ihre Fingerabdrücke auf einer frisch geputzten Glastür sind. Seit dem Tod ihres Mannes trägt sie Vintage-Kleider: „Ein bisschen exzentrisch, aber daran gibt es nichts auszusetzen, denn es gleicht die vielen Jahre der Unsichtbarkeit aus.“ (S. 228 / 229) und so lange es ihr noch gut ging, hat sie regelmäßig neue Restaurants und Cafés ausprobiert. Doch insgeheim drehen sich alle ihre Gedanken um ihr Leben mit und ohne Kathy, hinter der sie immer zurückstehen musste und die sie trotzdem so sehr vermisst. „Die Erstgeborene, aber immer an zweiter Stelle. Liebe und Groll waren die Zwillingsfäden, aus denen das Band zwischen den Schwestern bestand.“ (S. 163)

 

Sehr gefühlvoll beschreibt Jo Leevers die Beziehung zwischen den Schwestern und was damals passiert ist, wie sich Henrietta und Annie langsam aneinander annähern und öffnen, sich ihre größten Geheimnisse, Ängste und schlimmsten Erinnerungen erzählen. Man braucht beim Lesen starke Nerven, muss die Dramen, die die drei erleben bzw. erlebt haben, und die explizit beschriebenen Sterbeszenen der Krebskranken aushalten können. Aber sie macht auch Mut indem sie zeigt, wie es für die Zurückgebliebenen weitergeht. „Ich finde, es ist an der Zeit, dass Sie sich ins Leben stürzen.“ (S. 216)

2 Kommentare:

Isa hat gesagt…

Hi!
Das Buch hat so ein schönes Cover! Ich glaube, ich als typische Cover-Käuferin hätte da sofort zugegriffen. Ein bisschen zwiegespalten stehe ich jedoch dem Inhalt gegenüber. Es klingt doch recht bedrückend, wenn der Tod als roter Faden sich durch das ganze Buch zieht und andererseits: er betrifft uns alle, die Frage ist, was davor alles geschah.
Mal schauen, ich werde mir das Buch merken und dann vielleicht bei Gelegenheit reinlesen! Danke für die Rezension!
Isa

Hasirasi hat gesagt…

Hallo Isa,
das stimmt schon, der Tod ist hier allgegenwärtig, aber so richtig dramatisch wird es erst zum Ende hin, falls Dir das hilft.
Liebe Grüße und Dank für das Lob,
Hasi