Schnelldurchlauf durch die letzten 20 Jahre deutscher Geschichte aus Sicht eines Heranwachsenden
„Die Welt da draußen war zerrissen, die Welt in uns oftmals genauso.“ (S. 165)
Wisst Ihr noch, wo ihr wart, als die Flugzeuge in die Twin Tower flogen? Niclas, damals 11, saß mit seiner Schwester vor dem Fernseher und wollte Pokémon gucken, sie Talkshows. Dieser Anschlag war der erste von vielen Katastrophen, die seitdem die Medienlandschaft und sein (unser) Leben beeinflusst haben und ihn für die Zukunft schwarzsehen lassen. Aber erst einmal wurde Niclas noch von seinen Eltern abgeschirmt, haben sie versucht, seine heile Welt ein wenig zu verlängern. In der Schule sah das anders aus, da wurden ihnen klargemacht, dass nur Leistung zählt, Einsatzbereitschaft, und dass die Jobs, die Spaß machen, kein Geld bringen. Zur Ablenkung entdeckt er mit seinen Freunden Sex und Alkohol, nabelt sich ab, wird nach dem Studium und unzähligen Praktika Journalist. Bis der Lockdown kommt und alle vereinsamen. Wobei sie auch ohne Lockdown nur noch für die Arbeit und ohne Freunde leben, dafür ist nämlich keine Zeit, wenn man irgendwann mal Erfolg haben will.
„Geile Zeit“ ist ein Schnelldurchlauf durch die letzten 20 Jahre deutscher Geschichte aus Sicht eines erst Heranwachsenden, dann Erwachsenen, verknüpft mit dem Lebenslauf des Autors.
Man merkt, dass Niclas Seydack Journalist ist. Seine Erzählstil schwankt zwischen Reportage und Selbstgespräch. Je nach Alter und Situation seines Ichs wird die Sprache auch mal sehr direkt und vulgär.
Ich weiß nicht, was ich von dem Buch erwartet hatte. Natürlich habe ich mit dem Titel sofort das gleichnamige Lied von Juli verbunden, dass ich heute immer noch mitsingen kann, und das Lebensgefühl. Ansonsten aber haben Niclas und ich keine Gemeinsamkeiten. Ich bin eine Frau, 16 Jahre älter, und kann mit pubertierenden Jungsfantasien und der dazugehörigen Sprache nicht viel anfangen. Zudem wirken seine Erinnerungen oft emotionslos, wie eine Aufzählung. Seine Zukunftsangst kann ich zwar lesen, aber nicht spüren. Außerdem stört mich als Dresdnerin, dass meine Heimatstadt mehrfach als schlechtes Beispiel für Ausschreitungen und rechte Kräfte genannt wird – wir sind nicht alle so!
Alles in allem also leider nicht mein Buch, aber bitte lasst Euch davon nicht abschrecken.
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