„Ihr Ehemann war berauschend, schön, einfallsreich, wagemutig, und ihr gemeinsames Leben war eines im Überfluss, sie reisten kreuz und quer durch Europa, verkehrten mit wichtigen Leuten, und ganz en passant gelangte sie so zu einer universellen Bildung. … Für nichts in der Welt hätte Louise ihr Leben eintauschen wollen.“ (S. 13) Louise stammt aus einem sehr guten Elternhaus, ist behütet und verwöhnt aufgewachsen. Seit ihrer Hochzeit vor 2 Jahren ist sie mit ihrem Mann Viktor unterwegs. Womit er sein Geld verdient, weiß sie nicht – oder besser gesagt, will es nicht wissen, denn natürlich ist ihr aufgefallen, dass er seine Zeit in Casinos und auf Rennbahnen verbringt, sie die Orte nach großen Gewinnen fluchtartig mit neuen Namen und Kleidern verlassen (müssen). Louise hält das für ein Spiel, bis er sie im Sommer 1913 allein in Hamburg zurücklässt. Sie erfährt, dass er überall Schulden hat und man von ihr erwartet, dass sie die begleicht. Also versteckt sie sich in einer billigen Pension, wo sie Ella kennenlernt. Die hat es geschafft, nach 7 Jahren endlich aus einem Bordell in Lemberg zu fliehen, wohin sie als ältestes von 11 Kindern von ihren Eltern unwissentlich verkauft worden war. Sie vermisst ihre Familie, weiß aber auch, dass sie nie zurückkehren kann, weil man sich an ihr und ihrer Familie rächen würde.
Die beiden ungleichen Frauen werden zu einer Schicksalsgemeinschaft und echten Freundinnen. Louise hat unter Viktors Papieren einen Schuldschein gefunden, lt. dem ihm die Hälfte von Mo´s, London Tavern in Hamburg gehört. Als sie sich dort umsehen, retten sie einen Jungen vor der Polizei, der einen Juwelier umgebracht haben soll, und lernen den ehemaligen Polizisten Paul kennen, der im Dienst verstümmelt wurde und sich an seinem Widersacher rächen will.
Henrike Engel hatte mich schon mit ihrer Reihe über die Hafenärztin begeistert und auch Elbnächte ist wahnsinnig spannend und mitreißend. Sie überrascht nicht nur mit unerwarteten Wendungen, sondern lässt Personen aus der „Hafenärztin“ wieder auftreten und man erfährt, was in den letzten zwei Jahren passiert ist.
Die Geschichte wird abwechselnd aus Louises, Ellas und Pauls Sicht erzählt, so dass man deren Erfahrungen und Entwicklung hautnah begleitet.
Louise ist zu Beginn eine verwöhnte Bürgerstochter, die dazu erzogen wurde, Hausfrau und Mutter zu sein. Viktor war ihre Fluchtmöglichkeit aus diesem Korsett. Er bot ihr ein mondänes Leben und umfassende Bildung, die sie sich auf den Reisen selbst angeeignet hat. Sie nimmt die wiederkehrende Fluchten vor den Gläubigern nicht ernst, kann sich nicht vorstellen, dass Viktor ein Hochstapler und Betrüger ist. Auf sich alleingestellt, ist sie erst einmal hilflos, aber dank Ella und der Erfahrungen, die sie macht, mausert sie sich schon bald zu einer unabhängigen, jungen Witwe, die sich eine Arbeit sucht und für sich selbst sorgt, und über Gleichberechtigung, Gleichstellung und das Wahlrecht von Frauen nachdenkt. Doch eigentlich will sie ihr unbeschwertes Leben und das Geld zurück, mit dem sie aufgewachsen ist. Ich bin gespannt, wie sie sich im 2. Band weiterentwickelt.
Ella stammt vom Land und hat ihre jüngeren Geschwister aufziehen müssen. Es war ein hartes, karges, einfaches, aber auch zufriedenes Leben, das sie nicht auf ihre Zeit im Bordell vorbereitet hat. Ihren Eltern wurde gesagt, dass sie eine gute Stelle als Dienstmädchen bekommt, und zu Diensten musste sie den Männern ja auch Tag und Nacht sein. Unter Lebensgefahr sammelt sie jahrelang Kleingeld und plant ihre Flucht. Als die ihr dann gelingt, will sie so weit wie möglich weg und landet in Hamburg. Ella mag zwar ungebildet sein, aber sie will und kann hart arbeiten und hat anscheinend vor nichts (mehr) Angst. Durch ihre freundliche, zugewandte, hilfsbereite und mitfühlende Art nimmt sie die Menschen für sich ein und knüpft schnell Freundschaften. Außerdem kann sie gut rechnen und weiß, wie man Geld spart und sich ein gemütliches Zuhause schafft. Am meisten beindruckt hat mich, dass sie von Bildung träumt und endlich die Schule nachholen will.
Louise und Ella eint der Traum nach einer unabhängigen, gesicherten Zukunft, in der sie genug Geld für ein Leben nach ihren Wünschen verdienen, unabhängig von Männern. Wobei sich Luise bereits wieder nach einer starken Schulter zum Anlehnen sehnt und einem Mann, der für sie entscheidet.
Paul ist ein gebrochener Mann. Der Unterweltboss Hinnerk Macke hat ihn bei seinem letzten Einsatz verstümmeln lassen. Mit seinem Arm hat Paul auch den Kampfgeist verloren. Nur die Rache hält ihn noch am Leben. Er will Hinnerk, den niemand kennt, weil er sich hinter Kinderbanden versteckt, zur Strecke bringen und gleichzeitig so viele Straßenjungen wie möglich vor dessen Bande retten.
In Mo´s Taverne treffen diese drei Schicksale aufeinander und werden miteinander verwoben.
Henrike Engels „Elbnächte. Die Lichter über St. Pauli“ hat alles, was ein Lesehighlight braucht – starke Frauen und verbissene Ermittler, Drama, Skandale, Spannung, Freundschaft, Liebe und Neuanfänge. Ich kann die Fortsetzung kaum erwarten.
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