ISBN : 9783746634418
Flexibler Einband : 576 Seiten
Verlag : Aufbau TB
Erscheinungsdatum : 07.12.2018
Genre : Historischer Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Leseexemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Sehr gelungener, fesselnder Auftakt zu einer neuen
Trilogie
Deutschland, Anfang der 1930er
Jahre: Ruth Meyer wächst in behüteten Verhältnissen auf. Ihr Vater Karl ist reisender
Handelsvertreter für Schuhe und nur am Wochenende zu Hause, trotzdem ist die
Familie von viel Liebe und Zusammenhalt geprägt. Die Meyers sind Juden,
praktizieren ihren Glauben aber kaum noch, halten nur den Sabbat und die großen
Feiertage, wie das Lichterfest (das jüdische Äquivalent zu Weihnachten), ein. Bei
der Einweihungsfeier ihres neuen Hauses 1927 mit Familie und Freunden kommt
heraus, dass sich Karls Schwager Berthold in Deutschland nicht mehr sicher
fühlt und nach Palästina auswandern will. Noch steht er mit der Meinung allein
da. „Ja,
wir sind Juden – aber vor allem sind wir Deutsche.“ (S. 89)
In der Nachbarvilla lebt der
Stofffabrikant Merländer. Mit der gleichaltrigen Tochter von dessen
Haushälterin freundet sich Ruth schnell an. Sie bekommen von Merländer oft
Stoffreste und Ruth lernt, daraus Puppenkleider, Täschchen etc. zu nähen. Dabei
kann sie ihre Kreativität ausleben. Sie könnte sich sogar vorstellen, später in
der Modebranche zu arbeiten. Aber ihre behütete Kindheit endet jäh, als Hitler
Reichskanzler wird und Ruth vom Lyzeum fliegt – Juden sind ab sofort
unerwünscht! Da ist Ruth gerade 14 und hat mit Kurt ihre erste große Liebe
gefunden. Doch dessen Familie wartet wie so viel auf die Ausreise nach Amerika.
Und dann kommt die Reichspogromnacht ...
Ich habe die Ostpreußen-Saga (DasLied der Störche, Die Jahre der Schwalben, Die Zeit der Kraniche) von Ulrike
Renk verschlungen und war schon sehr gespannt auf dieses Buch, da es auf wahren
Begebenheiten und Ruths Tagebüchern beruht.
Ulrike Renk hat es wieder
geschafft, dass man von Beginn an mitten im Geschehen ist. Ich hatte das
Gefühl, ein Teil von Ruths Familie zu sein oder zumindest ein stiller
Beobachter.
Ruths Vater hatte es aus
eigener Kraft weit gebracht, liebte seinen Beruf und seine Familie. Er wollte
ihnen alles bieten, was möglich war. Ihre Mutter ging in ihrer Rolle als
Hausherrin und Mutter richtig auf, wollte es besser machen als ihre eigene –
immer sehr kühle und distanzierte Mutter. Martha war trotz Kindermädchen für
ihre Töchter da. Außerdem sie hatte einen Blick fürs Ganze, half Anderen, denen
es weniger gut ging. Obwohl sie nicht streng nach den jüdischen Traditionen leben,
scheint Nächstenliebe, aufeinander Achtgeben und Schwächeren helfen tief in
ihrem Glauben verwurzelt gewesen zu sein.
Mir gefiel, wie unbeschwert
Kinder und Erwachsenen unterschiedlicher Konfessionen lange miteinander
umgingen: „Wir leben in einer Gemeinschaft vieler Religionen – wir sollten uns
alle respektieren.“ (S. 148)
Mit dem Erstarken der
Nationalsozialisten wächst die Angst und die Unsicherheit unter ihnen aber
immer mehr. Die Autorin beschreibt sehr lebendig, dass sie die Ausgrenzung
nicht verstehen – schließlich fühlen sie sich in erster Linie als Deutsche!
Besonders erschreckend waren die Beschreibungen von auseinanderbrechenden
Familien, weil nicht alle ihr Heimat verlassen wollten und die Ernüchterung,
wenn die potentiellen Flüchtlinge aus gesundheitlichen Gründen abgewiesen
wurden – ein Fakt, der mir bis dahin unbekannt war. Auch die hohe
Arbeitslosenquote der USA nach 1929 und damit resultierende Unsicherheit der
Einwanderer hatte ich verdrängt.
Sehr lebendig werden auch die
Rückbesinnung der jüdischen Familie auf ihre Religion und Glaubensgemeinschaft geschildert
– das gemeinsame Bangen und Hoffen auf bessere Zeiten und wie sich die Stimmung
natürlich auch auf die Kinder überträgt, wie schnell diese erwachsen werden
musste.
Ich hab zwar schon viele
Bücher über diese Zeit gelesen, trotzdem haben mich die Schilderungen, wie sich
die Repressalien gegen die Juden immer mehr verstärkten, wieder sehr
mitgenommen.
Geschickt packt Ulrike Renk ihrer
Leser und schürt mit dem Ende dieses Bandes die Neugier ihrer Leser so, dass
man unbedingt wissen will, wie Ruths Geschichte und die ihrer Familie denn nun
weitergeht – leider erscheint die Fortsetzung erst im Juni 2019.
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