ISBN : 9783805207560
Fester Einband : 416 Seiten
Verlag : ROWOHLT Wunderlich
Erscheinungsdatum : 20.08.2019
Genre : Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Vorab Hinweis: Zwar wurde mir ein kostenloses Exemplar zur Verfügung gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende Meinung.
Windflüchter
... sind
Bäume (vor allem an der Küste), deren Wuchsform vom Wind bestimmt wird. Sie
brechen nicht bei Sturm, sondern beugen sich, biegen sich, passen sich an.
Als
Windflüchter könnte man auch einige Bewohner Peleroichs bezeichnen, ein kleines
Dorf an der Ostseeküste an der Grenze zum „Westen“, dessen Geschichte Anja
Baumheier in „Kastanienjahre“ erzählt.
Alles
beginnt 1950, als Karl und Christa in der Dorfschule nebeneinander sitzen. Jahre
später darf Karl, der den Wald und die Küste liebt, seinen Beruf als Förster
nicht länger ausüben, da er sich weigert, an der neu erbauten Grenze für die
Stasi zu spionieren. Seine Mutter wehrt sich jahrelang dagegen, in die LPG
einzutreten, aber der Bürgermeister will nun mal ein Vorzeigedorf aus Peleroich
machen. Und auch andere lehnen sich auf: der Bäcker will die Fahnen zum 1. Mai nicht
raushängen und der Konsumbetreiber schreibt regelmäßig Eingaben an Walter
Ulbricht, weil er nichts hat, was er verkaufen kann – etwas, was man sich wahrscheinlich
nur vorstellen kann, wenn man es miterlebt hat. So wie ich. 1974 in Dresden
geboren und aufgewachsen, habe ich viele Szenen wiedererkannt, die im Buch
beschrieben werden. Den Mangel an alltäglichen Dingen und unseren
Einfallsreichtum, um sie zu ersetzen, Angst vor Spitzelei und Denunziation, Berufswünsche,
die Träume bleiben mussten, Freunde, die plötzlich verschwunden waren, weil sie
„abgehauen“ sind oder die Ausreise genehmigt wurde.
Auf die
Ausreise hofft auch Jakob jahrelang. Er ist Künstler und Elises Freund, aber
nicht ihr Ehemann, das wiederum ist Henning, den sie von klein auf kennt. Aber als
sich Henning und Elise nach dessen Armeezeit auseinander leben, wird Jakob
immer wichtiger für sie. Sie träumen gemeinsam von Paris, doch eines Tages ist
er plötzlich verschwunden.
Elise ist
Karls und Christas Tochter. Sie arbeitet als Näherin in einem großen Betrieb
und lebt ihre Kreativität zu Hause aus, wo sie aus Stoffresten eigene Modelle
schneidert. Nach der Wende und Wiedervereinigung – die sich die Peleroicher wie
so viele DDR-Bewohner eigentlich anders vorgestellt hatten )„Ich
fühle mich überrumpelt und femdbestimmt. ... Was ist aus den Ideen geworden,
die DDR demokratisch zu erneuern?“ (S. 340)) – geht Elise doch noch
nach Paris und übernimmt eine Boutique, aber ihre Heimat kann sie nie vergessen,
genau so wenig wie Jakob. Sie sucht
jahrelang nach ihm, hofft, dass er noch lebt, obwohl die Vernunft dagegen
spricht. Als sie 20 Jahre
später einen Brief bekommt, in dem ihr ein „Freund“ schreibt, dass er Schuld am
Tod ihres Vaters und Jakobs Verschwinden ist, kommt alles wieder hoch. Sie soll
nach Peleroich kommen, dann erklärt er ihr alles. Wer steckt hinter den Briefen
und was ist damals wirklich passiert?
Wie schon
bei „Kranichland“, ist es Anja Baumheier auch in diesem Buch wieder
gelungen, ein erschreckend authentisches und reales Bild der DDR zu
zeichnen. Elises Geschichte und die ihrer Familie ist eng mit der des Dorfes
verknüpft. Schon während der DDR spaltet sich Peleroich in 2 Lager, die
Regimetreuen und die -gegner und nach der Wende zerfällt es immer mehr – am
Ende bleibt ein Geisterdorf, dass eingeebnet werden soll.
Anja Baumheier schreibt
über Hoffnungen und Sehnsüchte, über eine dörfliche Idylle, die keine ist, über
Mangelwirtschaft und Nachbarschaftshilfe, offene Freund- und versteckte
Feindschaft, über Fluchthelfer und die Stasi und dass man sich nie sicher sein
kann, wer auf welcher Seite steht. Trotzdem malt sie nie schwarzweiß. Es war
nicht alles schlecht, aber eben auch nicht alles gut. Ein sehr berührendes
Buch, das meine Vergangenheit wieder lebendig gemacht hat. #gegendasvergessen
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