ISBN : 9783746635811
Flexibler Einband : 448 Seiten
Verlag : Aufbau TB
Erscheinungsdatum : 18.08.2020
Genre : Historischer Roman
Werbung (gemäß §2 Nr.5 TMG)
Vorab
Hinweis: Zwar wurde uns ein kostenloses Exemplar zur Verfügung
gestellt, dies hat aber keinerlei Einfluss auf meine nachfolgende
Meinung.
Mehr als
nur die Tochter von …
„Wir haben
uns das alle viel zu einfach vorgestellt. Den roten Teppich rollt uns hier
niemand freiwillig aus. Dazu sind wir einfach zu viele, die plötzlich vor der
Tür stehen und von hochdotierten Engagements träumen.“ (S. 75) Erika und
ihr Bruder Klaus reisen im Herbst 1936 nach Amerika, um alles für das politisches
Kabarett „Pfeffermühle“ vorzubereiten. Sie sollen Visa, Auftritte und vor allem
Geld für die restliche Truppe organisieren, die mit einem anderen Schiff folgen
wird. Die „Pfeffermühle“ will Amerika aufrütteln und vor den Nazis warnen. „Wenn
Amerika jetzt nicht aufwacht, um sich gegen Hitler zu stellen, werden wir uns
eines Tages verwundert die Augen reiben, weil wir die Chance verpasst haben.“
(S. 67) Aber schon beim ersten Dinner mit potentiellen Geldgebern wird Erika klar,
dass diese kein Interesse an Hitler und Europa haben und die Amerikaner die
Texte der Pfeffermühle auch in Englisch nicht verstehen würden, weil ihnen das
Hintergrundwissen fehlt. Die Leute wollen unterhalten werden, nicht belehrt. Außerdem
werden sie und Klaus nur auf die Rolle der Kinder von Thomas Mann reduziert.
Ein eigener Kopf oder gar eine Karriere wird ihnen nicht zugestanden. Man möchte
familiäre Anekdoten über den Literaturnobelpreisträger hören, keine Warnung vor
dem nächsten Krieg, an den sowie niemand glaubt. Dabei ist sie so viel mehr als
nur die Tochter von …
Eins vorweg,
Erika und ich wären wahrscheinlich keine Freunde geworden. Dazu erscheint sie
mir zu unsympathisch, manipulativ, vergnügungssüchtig, abgehoben und egoman. Sie
ein echtes Luxusweibchen, hatte keine Probleme damit, sich von anderen
aushalten zu lassen und im Restaurant das teuerste Gericht auf der Karte zu
bestellen, auch wenn sie wusste, dass ihr Gegenüber sich das eigentlich nicht
leisten konnte. Aber sie war auch sehr intelligent, leidenschaftlich, zielstrebig,
selbstbewusst und durchsetzungsstark. „Meist haben zu Hause alle auf mein
Kommando gehört, sogar die Eltern. Dabei musste ich nicht einmal selbst am
Ruder stehen. Den Part habe ich Klaus überlassen. Mir hat das Schalten und
Walten aus dem Hintergrund genügt.“ (S. 366) Sie wollte Hitler stoppen,
die Welt wachrütteln und hat sogar ihren Vater dazu gebracht, endlich Stellung
zu beziehen. Heidi Rehn zeichnet in „Die Tochter des Zauberers“ ein extrem
vielschichtiges Bild von ihr und lässt den Leser an allen Facetten ihres Lebens
teilhaben. Sie zeigt auch, wie umstritten Erika wegen ihres Lebensstils selbst innerhalb
des Ensembles der „Pfeffermühle“ war und wie sie deswegen angefeindet wurde.
Erika scheint
ein echter Freigeist gewesen zu sein: verheiratet mit einem Engländer wegen des
Passes, lebt sie offen mit der Münchner Künstlerin Therese zusammen. Doch als
sie in New York ankommt, lernt sie gleich zwei faszinierende Männer. Den Arzt
und Schriftsteller Martin Gumpert
und den Bankier Maurice Wertheim. Beide machen ihr Avancen, Maurice wird ihr Förderer,
finanziert die „Pfeffermühle“ und legt ihr jeden nur denkbaren Luxus und die Welt
zu Füßen. Da kann Martin nicht mithalten, aber bei ihm findet sie Ruhe und Geborgenheit.
Wenn es nach Klaus geht, soll sie sich natürlich für Maurice entscheiden, aber
das Herz will, was es will – und auch Therese gibt nicht so leicht auf. Ein
Liebestaumel beginnt.
Die symbiotische
Beziehung des Geschwisterpaares spielt in diesem Buch eine sehr große Rolle. Erika
ist nur ein Jahr älter als Klaus und hat eine extrem engere Bindung zum ihm. Sie
will ihm zu seinem Durchbruch als Schriftsteller verhelfen. Er lebt und
arbeitet wie im Rausch, flüchtet sich immer wieder in Drogenexzesse, unternimmt
Selbstmordversuche. Klaus ist menschenscheu und kann nicht offen mit seiner
Homosexualität umgeben. „Tut mir leid, dass ich anders bin. Es kann halt
nicht jeder so erfolgreich wie du mit beiderlei Geschlecht turteln.“
(S. 37)
So unterschiedlich
Erika und Klaus auch sind, eines haben sie gemeinsam. Sie wollen endlich aus
dem Schatten des übermächtigen Vaters treten und als eigenständige
Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Allerdings erschien mir ihre Beziehung an
einigen Stellen zu ungesund und zu eng – welches Geschwisterpaar küsst sich
schon leidenschaftlich auf den Mund?!
Heidi Rehn gibt
das Flair vom New York der 40er Jahre sehr anschaulich wieder, die Kunst- und
Künstlerszene, in der sich Erika bewegt, den Broadway, die Shows, Kellerclubs
und Nachbars, dazu kommen die vielen Berühmtheiten der damaligen Zeit (wie z.B.
Vicky Baum, Billy Wilder, Kurt Weil oder die Roosevelts), denen sie begegnet. Auch
das Hotel Bedford, die Sammelstelle und neuen Heimat der Emigranten (vor allem
Juden), die Europa bereits verlassen hatten, wird sehr lebendig beschrieben.
Heidi Rehn
zeichnet in „Die Tochter des Zauberers“ ein extrem vielschichtiges Bild von Erika
Mann und lässt den Leser an allen Facetten ihres Lebens teilhaben. Sie zeigt deren
umstrittenen Lebenswandel, ihren Kampf gegen Hitler und die symbiotische Beziehung
mit ihrem Bruder Klaus, welche mir nicht immer gesund erschien. Und auch sonst war
die bisexuelle Erika für jede Art von Beziehungen offen, konnte sich nur schwer
für nur eine Person entscheiden …
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